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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Hofmann, Albert: Alphons Maria Mucha
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0015

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ALPHONS MARIA MUCHA

»Poesie«. Von ALPHONS MUCHA.

Die Wahl des Gegenstandes dieser beiden Blätter ist
ungemein charakteristisch für die Kunst Mucha's, die
dem Weiblichen hauptsächlich in den Regungen nach-
geht, bei welchen das Diabolische in weicher und den
Sinnen schmeichelnder Weise zum Durchbruch kommt.
Mucha ist nicht der Künstler grosser Leidenschaften,
ihn beherrscht vielmehr das Weibische des Weibes,
die durch alles mögliche Beiwerk gesteigerte begierden-
reizende Einwirkung. Man darf diese Kunst deshalb
nicht kraftlos nennen, denn sie wendet sich einem
Gebiete zu, bei welchem männliche Kraft gegenstands-
los ist. Nur selten beschäftigt sich der Künstler, dessen
ganzer Ausdruck schon seine weiche, weibliche Em-
pfindung verrät, mit der männlichen Figur und wo
es geschieht, nimmt auch diese den Charakter der
Weichheit an. Ich möchte die Kunst des Alphons
Mucha als den entgegengesetzten Pol der Kunst des
Josef Sattler gegenüberstellen, ohne im übrigen den
Kunstwert dieser durchaus verschiedenen Künstler-
individualitäten aneinander messen zu wollen. Beide
aber scheinen ihr Empfindungsvermögen nur nach
einer Seite hin ausgebildet zu haben: Josef Sattler nach
der Seite des Männlichen, mit der Steigerung ins

Gewaltthätige, Rauhe, oft Titanenhafte, Alphons Mucha
nach der Seite des Weiblichen mit der Milderung ins
Betäubende, Erschlaffende, Weiche. Darf ich einen
anderen nicht erschöpfenden Vergleich wählen, so
möchte ich die Kunst Sattler's mit der rauhen Distel,
die Mucha's mit der betäubenden Tuberose vergleichen.

Einen interessanten Einblick in die Schaffensweise
unserers Künstlers gewährt das Heft des in Wien bei
Gerlach und Schenk erscheinenden «Kunstschatzes»,
welches ausschliesslich ihm gewidmet ist. Unter den
zahlreichen Studien, Entwürfen, ausgeführten Blättern
dieses Heftes ist kaum eines, auf welchem der Mann
die erste Rolle spielte, immer das Weib und noch
einmal das Weib in allen möglichen Auffassungen
des Lebens wie der Liebesleidenschaft, in allen mög-
lichen Stellungen und Lagen, wie sie nur ein reich
entwickeltes Sinnenleben, dessen starker Trieb in über-
wältigender Weise den Willen beherrscht, hervorbringen
kann. Dasselbe lässt sich sagen von dem Titelblatt,
welches der Künstler für Heft XI des I. Jahrganges von
«Ver sacrum» zeichnete und wiederum dasselbe drücken
auch die beiden Entwürfe zu Kalenderblättern aus, welche
in dem gleichen Hefte zur Veröffentlichung gelangten.
Diesen Entwürfen reiht sich ein interessantes Blatt an,
welches die No. 75 des Jahrganges 1896 des «Figaro
illustre» giebt, wieder eine weibliche Gestalt, in mo-
dernem Kostüm, mit aller Weichheit und mit all dem
betäubenden Einfluss ausgestattet, welchen das fran-
zösische Weib, welches sich des Willens bewusst ist,
den Mann zu erobern, ausstrahlt.

Ein Titelblatt für das «English illustrated Magazine»
in London führt uns auf den Weg, den Mucha bei
seinen Buchillustrationen einschlägt: die Verbindung
einer Art Stilisierung des Weibes mit einer eigenartigen
Ornamentik, welche die Motive unbekümmert um ihre
Herkunft frei wählt und ebenso frei mit ihnen schaltet
und waltet. Interessante Arbeiten, zum Teil in dieses
Gebiet einschlagend, zum Teil besondere Wege gehend,
sind des Künstlers Illustrationen zu «Le Verglas»,
Jahrgang 1897, S. 61 ff. des «Figaro illustre»; sie
lassen noch wenig von der Freiheit der Mucha'schen
Plakatkunst erkennen. Auch in den Zeichnungen zu
«Le Fou», legende hongroise, S. 221 f. des gleichen
Jahrganges des Figaro, ist noch eine gewisse Gebunden-
heit bemerkbar, die sich erst in den Zeichnungen für
die Weihnachtsnummer 1897 derselben Zeitschrift zu
grösserer Freiheit löst.

Für die ausgezeichnete Zeitschrift «L'Estampe Mo-
derne» schuf Mucha vier Kompositionen «Die Künste»
(S. 4, 5 u. 6), die, wenn sie auch nicht zu seinen
Werken ersten Ranges zählen, sondern unzweifelhaft
ein gewisses Nachlassen erkennen lassen, nicht nur
durch ihre Auffassung, sondern auch durch ihre Er-
läuterung sehr charakteristisch für die Weise unseres
Künstlers sind. Ich kann mir nicht versagen, die Er-
läuterungen dazu, die auch ihrerseits der Weichheit der
Auffassung entsprechen, hierher zu setzen. Zur «Poesie»
wird geschrieben: «L'approche du crepuscule guide
I'äme poetique vers les plages ideales du reve. A
contempler l'etoile d'or, qui s'est levee, lä-bas, au fond
du ciel, sa melancolie longuement s'attarde dans la
 
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