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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Obrist, Hermann: Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das Kunstgewerbe zu heben?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0076

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64 HAT DAS PUBLIKKM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?

Medaillon. Bally, Avers und Revers von Bildhauer H. BAUSER, Karlsruhe.

Unsere Goldschmiede machen Pokale nach altdeut-
schen Vorbildern, Jardinieren in Barock, Tafelaufsätze
in Rokoko, unsere Juweliere fertigen Ringe und
Broschen, die Hunderte und Tausende kosten, imitieren
aber Blümchen und flatternde Bänder oder geben
überhaupt wesenlose Gebilde und die schönsten
Steine werden in aufdringlicher oder protziger Weise
montiert.

Die Trinkgefässe, Bowlen und Vasen aus Glas
sind so mit Emailmalereien bedeckt, dass man die
Form nicht mehr erkennen kann.

Treten wir in ein Lampengeschäft, so ist es fast
unmöglich, eine einfache Lampe zu entdecken. Die
Hängelampen sind mit Zierat bedeckt, alles ist ver-
goldete oder imitierte Bronze. Die Stehlampen sind
überall mit Buckeln, Köpfen, Festons, Gekringel
aller Art verziert. Und begeben wir uns erst in ein
Luxuswarengeschäft, wie flimmert es einem da vor den
Augen! Man sieht den Laden vor Prunkstücken
nicht. Was für Vasen aus Majolika mit Bronze
montiert, wie grossartig nutzlos! Krüge und Schalen
und Gefässe aller Art, bemalt, emailliert und ver-
goldet, aufdringlich von weitem, in der Nähe ordi-
när. Geschnittenes Glas, gewundenes Rokokopor-
zellan und verwirrende Mengen von Statuen, Statuetten,
Bronzen; dazu ein Sammelsurium von Tanagrafiguren,
altdeutschen Landsknechten, französischen Balleteusen,
ferner Masskrüge mit den geschmacklosesten Einfällen,
Münchener Kindl und Rokokoschmiedeeisen; und
vor allem jene gefährlichen Feinde der Kunst, die
Nippsachen, wahre Bazillen des Kunstgewerbes! Man
muss es erlebt haben wie wir, dass eine vornehme
Frau von Geschmack beim Weihnachtseinkauf den
Laden mit Thränen in den Augen vor Verwirrung
und Ratlosigkeit verliess, um den ganzen Jammer
dieser Überproduktion zu ermessen.

Kurzum, wohin man blickt, Überfülle, aber das

Einzelne zu oft kleinlich, banal, Fabrikware, aber bis
zur Grenze der Möglichkeit mit Ornament bedeckt.
Und diesem Zustande muss abgeholfen werden.

Und in der That, das Publikum wird langsam
inne, dass es von Bazarware, von Massenerzeugnissen
umringt ist, und dass auch die schönsten Arbeiten der
besten Werkstätten schwer darunter leiden, dass sie aus
der Formengebung der Renaissance, des Barock, des
Rokoko, des Empires und des neuerdings beliebten
neuenglischen Stiles nicht herauskommen.

Es fehlt nun bei uns nicht an Personen, die ganz
zufrieden mit ihrem prachtvollen Empfangssalon in
Rokoko, etwas verdrossen fragen: Ja, ist es denn wirk-
lich so nötig, da zu reformieren, muss denn durchaus
immer etwas Neues gemacht werden, ich finde, dass
wir so viel Auswahl haben, dass für jeden Geschmack
etwas da ist? Allein die überwiegende Zahl derer,
die zu dem Kunstgewerbe überhaupt ein Verhältnis
haben, hat doch die Erkenntnis gewonnen, dass es
zuviel Gute-Stube-Kunstgewerbe, zuviel Restaurant-
Luxus und vor allem zu viel Stilfexerei giebt und dass
dieses Überwiegen des Banalen und Aufdringlichen,
dies Kennzeichen der letzten Jahre, einer, aber auch
nur einer der Gründe ist, weswegen das Kunstgewerbe
gehoben werden muss. Man interessiert sich für das
Neue, das Einfache, das Gesunde, man sehnt sich
danach und das ist ein Anfang zur Besserung. Wie
diese bessere Einsicht nun bethätigt werden könnte,
darauf kommen wir später zurück. Zunächst wollen
wir klarstellen, dass und warum es den Kunstgewerbe-
treibenden nicht allein überlassen werden kann, an der
Beseitigung der Missstände zu wirken; Dazu ist ein
Blick auf ihre Lage und ihr Verhältnis zur allgemeinen
Produktion notwendig.

Wer in den Werkstätten der Kunsthandwerker zu
Hause ist, der kann nicht ohne Ernst die Sorgen be-
trachten, die jene Kreise in steigendem Masse erfüllen.
 
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