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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Obrist, Hermann: Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das Kunstgewerbe zu heben?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0079

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HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 67

Es wäre eine sehr irrige Meinung, aus der Masse der
Ware, die man auf dem Markte sieht, zu folgern,
es ginge diesen Leuten recht gut, sie hätten ja vollauf
zu thun. Die grosse Masse dieser Ware stammt aus
Fabriken und leider nur zu viele Kunsgewerbetrei-
bcnde arbeiten direkt oder indirekt mit oder für Fa-
briken. Die Mehrzahl aller gewöhnlichen Möbel
z. B. werden im Orossbetriebe angefertigt. Eben diese
Fabriken aber sind es, die mit solcher beklagens-
werten Energie den Markt mit schlechten und nach
unseren Begriffen oft unfassbar geschmacklosen Mö-
beln überschwemmen. Und gerade sie sind es, die
es dem Einzelarbeiter so schwer, oft sogar unmöglich
machen, aus seinen eignen Mitteln heraus eine Ein-
richtung zu schaffen, die ihm selber geschmackvoller
erschiene. Denn immer wird sie den Fehler haben,
dass sie etwas teurer wird als die Fabrikeinrichtung
und dass sie etwas anders aussieht, als die Massen-
ware, was den Bürger ja anstatt ihn zu erfreuen, er-
schreckt.

Die Fabrik treibt nur zu oft den Kunsthandwerker
gegen seinen Willen und gegen seine bessere Er-
kenntnis in die Bahn, etwas Ordinäres und Langwei-
liges machen zu müssen. In Ermangelung sicherer
Privataufträge ist er dazu gezwungen, um zu verdienen.
Daher kommt es, dass wir trotz der hochentwickelten
Technik bei den Kunsthandwerkern doch in ihnen
kein rechtes Gegengewicht haben gegen die geschmack-

lose Dutzendware der Fabriken. Aber viele Hunderte
dieser Kunsthandwerker ertragen die Zwangslage nur
mit innerem Widerstreben, sogar mit Groll. Sie
wissen, dass sie ewig dieselben Formen wiederkäuen,
dass sie nicht aus dem Kreislauf der Stile heraus-
kommen. Nicht einmal die Befriedigung haben sie,
dass sie oft genug einen Privatauftrag bekommen,
bei dem sie sich Zeit nehmen können, in diesen nun
einmal hergebrachten und ausgebildeten Stilen etwas
recht verstandenes und ausgereiftes auszuführen. Dann
kommen sie auch selber nicht recht dazu, an ihrer
künstlerischen speziell erfinderischen Ausbildung weiter
zu arbeiten. Denn dazu gehört Müsse; man muss
probieren, entwerfen. Und dann, wenn sie einmal
etwas versuchen, so bleibt ihnen meist nichts übrig,
als es in einer permanenten Kunstgewerbeausstellung
zu zeigen, wo es unter der verwirrenden Menge von
Kram nicht beachtet wird, und von den Kollegen,
die ja oft doch so gern ebenfalls etwas probieren
möchten, sonderbarer Weise recht abfällig kritisiert
wird. Wer viel in Werkstätten verkehrt, was ja unter
den Gebildeten beklagenswerter Weise nur selten ge-
schieht, der kann diese Stimmung der dumpfen Un-
zufriedenheit allerorten fühlen, die Sehnsucht nach
der Möglichkeit, sich einmal frei bethätigen zu dürfen,
der Hass auf die alten Formen, die Nervosität infolge
der Hetze und Überarbeit, die einen zu keiner Samm-
lung kommen lässt. Hunderte von jungen Leuten,

Email-Füllungen; Entwurf von Prof. KARL GAGEL und Maler AUG. GAGEL in Karlsruhe, ausgeführt durch Bergmann's

Emailwerk in Oaggenau (liaden).

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