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' Windfedern «, d. i.
Giebelbrettern, noch
typisch uralte Stam-
mestradition festhält,
haben die Vierlän-
der in ihrem Haus-
bau das niedersäch-
sische Einhaus mit-
samt seinem Pferde-
kopfgiebel adoptiert,
haben es aber ausser-
ordentlich reich aus-
gebildet. Vorkra-
gende obere Stock-
werke, geschnitztes
oder bemaltes Stän-
derwerk, Ziegelmus-
ter, reich verschnör-
kelte Pferdekopfgiebel, (es kommen auch Blumen- und
andere Formen vor), schön ausgebildete Thüren,
schmucke Hofeingänge in der Gartenhecke vereinen sich
zu einem ausserordentlich malerischen Gesamtbilde;
der stets schön gepflegte Garten, in dem Blumen-
und Gemüsezucht sich die Wage halten, die schönen
Obst- und anderen Bäume, Lauben u. s. w. thun ein
übriges hinzu.
Zwei andere Gebäude hat die Profanarchitektur
der Vierländer noch aufzuweisen, die künstlerisch
interessant sind, turmartige hölzerne Kornspeicher und
malerische, an siamesische Pagoden lebhaft erinnernde
Heuschober erstere, wie's scheint, rein vierlän-
disch, letztere kommen auch in anderen Hambur-
gischen Marschen vor. Von den schönen Korn-
speichern steht nur noch einer, von den Heuschobern
ist, glaube ich, in diesem Jahre der letzte vierländische
gefallen. Die Scheunen, die bei grossen Bauernhäusern
hie und da vorkommen, sind nur selten mit ein paar ge-
schnitzten Konsolen oder der-
gleichen versehen.
Die Vierländer Kirche hat
den alten Typus des freistehen-
den Glockenturmes bewahrt,
mit Ausnahme der Altengammer
wo er aber auch nur in locke-
rer Verbindung mit dem eigent-
lichen Kirchengebäude steht. Die
nicht grossen Kirchen sind äus-
serlich wenig ansehnlich; aus
gotischer Zeit stammend, ein-
fach im Grundriss, haben sie
höchstens im vorigen Jahrhun-
dert durch Anbau einer Ein-
gangshalle, Oberlicht- und an-
derer Fenster, deren Sprossen-
werk das Rokoko verrät, u. dgl.
in. eine Bereicherung erfahren.
Anders ist's im Innern, da
kann man, namentlich wenn
man die Altengammer Kirche
ins Auge fast, von wahren Mu-
seen volkstümlicher Kunst im
VIERLÄNDER KUNST
Dienste des Gottes-
hauses sprechen.
Und das führt
uns zu dem Gebiete,
auf dem die Vier-
länder Kunst ihr
Höchstes geleistet
hat, auf die orna-
mentale Kunst und
das Kunstgewerbe.
Schon im Schmuck
des Hauses zeigt
sich die charakteris-
tische Neigung der
Vierländer Kunst zu
grosser Schmuck-
freude, die aber im-
mer Mass zu halten
weiss und Überla-
scheut, die manchmal einfach durch eine schöne
durch wenig, aber wirkungsvolles Ornament
Zweck erreicht. Zierlichkeit und Sauberkeit in
der Ausführung sind desgleichen Eigenschaften, die
man ihr nachrühmen muss. Neben der Eigenart in der
Verwendung überkommener Formgedanken ist ihr eine
besonders hoch zu schätzende, grosse Urwüchsigkeit im
selbständigen Erfinden glücklicher neuer Formen eigen.
Ein Beweis dafür sind vor allem die schönen
schmiedeeisernen Huthalter der Kirchen, die ganz
original dastehen und nirgends ihresgleichen haben.
Ein gleicher Beweis dafür war, um noch ein einzelnes
Beispiel zu nennen, eine drollige Zierde der Spitze
eines jener merkwürdigen genannten Heuberge: ein
aus Weidenruten geflochtener Storch. Und anderes
mehr.
Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts, zusammen-
hängend jedenfalls mit der aufblühenden Blumenzucht,
beobachten wir ein ausserordentlich starkes Vorwiegen
des naturalistischen Blumenmo-
Brustkette der Frauen.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
dung
Linie,
ihren
Hemdspange aus eleu Vierlanden.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
tivs in der gesamten Ornamen-
tik, das, wie es alle Renaissan-
ce- und Rokokoornamente ver-
drängte, auch den später kom-
menden Motiven des Empire
fast nirgends Eingang gestattet
hat. Immer sind es die nach
der Natur gestalteten Blumen
des Gartens: Rosen, Tulpen,
Nelken, Lilien, Ringelblumen,
Maiglöckchen, Akelei, Schwert-
lilie, allerlei Beeren u. a. m.,
die wir antreffen. Auch sonst
hat man gelegentlich frisch in
Natur und Leben hineingegriffen.
Von Tieren finden die Vögel
viel Verwendung. Wir finden
ferner Bauern auf der Jagd,
Reiter u. dgl. dargestellt, wir
finden Wetterfahnen, welche die
Gestalt der Gemüseschiffe (Ewer)
haben, Windmühlen in Ziegel-
muster. Manchmal hat man in
' Windfedern «, d. i.
Giebelbrettern, noch
typisch uralte Stam-
mestradition festhält,
haben die Vierlän-
der in ihrem Haus-
bau das niedersäch-
sische Einhaus mit-
samt seinem Pferde-
kopfgiebel adoptiert,
haben es aber ausser-
ordentlich reich aus-
gebildet. Vorkra-
gende obere Stock-
werke, geschnitztes
oder bemaltes Stän-
derwerk, Ziegelmus-
ter, reich verschnör-
kelte Pferdekopfgiebel, (es kommen auch Blumen- und
andere Formen vor), schön ausgebildete Thüren,
schmucke Hofeingänge in der Gartenhecke vereinen sich
zu einem ausserordentlich malerischen Gesamtbilde;
der stets schön gepflegte Garten, in dem Blumen-
und Gemüsezucht sich die Wage halten, die schönen
Obst- und anderen Bäume, Lauben u. s. w. thun ein
übriges hinzu.
Zwei andere Gebäude hat die Profanarchitektur
der Vierländer noch aufzuweisen, die künstlerisch
interessant sind, turmartige hölzerne Kornspeicher und
malerische, an siamesische Pagoden lebhaft erinnernde
Heuschober erstere, wie's scheint, rein vierlän-
disch, letztere kommen auch in anderen Hambur-
gischen Marschen vor. Von den schönen Korn-
speichern steht nur noch einer, von den Heuschobern
ist, glaube ich, in diesem Jahre der letzte vierländische
gefallen. Die Scheunen, die bei grossen Bauernhäusern
hie und da vorkommen, sind nur selten mit ein paar ge-
schnitzten Konsolen oder der-
gleichen versehen.
Die Vierländer Kirche hat
den alten Typus des freistehen-
den Glockenturmes bewahrt,
mit Ausnahme der Altengammer
wo er aber auch nur in locke-
rer Verbindung mit dem eigent-
lichen Kirchengebäude steht. Die
nicht grossen Kirchen sind äus-
serlich wenig ansehnlich; aus
gotischer Zeit stammend, ein-
fach im Grundriss, haben sie
höchstens im vorigen Jahrhun-
dert durch Anbau einer Ein-
gangshalle, Oberlicht- und an-
derer Fenster, deren Sprossen-
werk das Rokoko verrät, u. dgl.
in. eine Bereicherung erfahren.
Anders ist's im Innern, da
kann man, namentlich wenn
man die Altengammer Kirche
ins Auge fast, von wahren Mu-
seen volkstümlicher Kunst im
VIERLÄNDER KUNST
Dienste des Gottes-
hauses sprechen.
Und das führt
uns zu dem Gebiete,
auf dem die Vier-
länder Kunst ihr
Höchstes geleistet
hat, auf die orna-
mentale Kunst und
das Kunstgewerbe.
Schon im Schmuck
des Hauses zeigt
sich die charakteris-
tische Neigung der
Vierländer Kunst zu
grosser Schmuck-
freude, die aber im-
mer Mass zu halten
weiss und Überla-
scheut, die manchmal einfach durch eine schöne
durch wenig, aber wirkungsvolles Ornament
Zweck erreicht. Zierlichkeit und Sauberkeit in
der Ausführung sind desgleichen Eigenschaften, die
man ihr nachrühmen muss. Neben der Eigenart in der
Verwendung überkommener Formgedanken ist ihr eine
besonders hoch zu schätzende, grosse Urwüchsigkeit im
selbständigen Erfinden glücklicher neuer Formen eigen.
Ein Beweis dafür sind vor allem die schönen
schmiedeeisernen Huthalter der Kirchen, die ganz
original dastehen und nirgends ihresgleichen haben.
Ein gleicher Beweis dafür war, um noch ein einzelnes
Beispiel zu nennen, eine drollige Zierde der Spitze
eines jener merkwürdigen genannten Heuberge: ein
aus Weidenruten geflochtener Storch. Und anderes
mehr.
Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts, zusammen-
hängend jedenfalls mit der aufblühenden Blumenzucht,
beobachten wir ein ausserordentlich starkes Vorwiegen
des naturalistischen Blumenmo-
Brustkette der Frauen.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
dung
Linie,
ihren
Hemdspange aus eleu Vierlanden.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.
tivs in der gesamten Ornamen-
tik, das, wie es alle Renaissan-
ce- und Rokokoornamente ver-
drängte, auch den später kom-
menden Motiven des Empire
fast nirgends Eingang gestattet
hat. Immer sind es die nach
der Natur gestalteten Blumen
des Gartens: Rosen, Tulpen,
Nelken, Lilien, Ringelblumen,
Maiglöckchen, Akelei, Schwert-
lilie, allerlei Beeren u. a. m.,
die wir antreffen. Auch sonst
hat man gelegentlich frisch in
Natur und Leben hineingegriffen.
Von Tieren finden die Vögel
viel Verwendung. Wir finden
ferner Bauern auf der Jagd,
Reiter u. dgl. dargestellt, wir
finden Wetterfahnen, welche die
Gestalt der Gemüseschiffe (Ewer)
haben, Windmühlen in Ziegel-
muster. Manchmal hat man in