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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Schwindrazheim, Oskar: Vierländer Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0095

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VIERLANDER KUNST

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barocker Laune aucli bei Bank-
lelmen und Ofenthüren das
Profil eines menschlichen Kop-
fes als Motiv genommen.

Allegorische Figuren spielen
in der Kirchenornamentik eine
grössere Rolle. Neben dem ural-
ten Pferdekopfmotiv des Gie-
bels kommt der Donnerbesen
oftmals an der Hausfront vor. Der
Doppeladler, der in der deut-
schen Bauernkimst überhaupt,
z. B. in der süddeutschen und
pommerschen, ein beliebtes Mo-
tiv ist, spielt auch hier, unter-
stüzt durch den Umstand, dass
er zugleich das Wappen Lü-
becks, der ehemaligen Mitbe-
sitzerin Vierlandens, ist, eine grosse Rolle.

Hoch entwickelt ist die Verwendung von Schrift-
zügen als Ornament; der älteren, monumentalen An-
tiqua gesellte sich im vorigen Jahrhundert ausnehmend
schön geschwungene lateinische Schreibschrift, in der
namentlich die Namen der Besitzer in das Haus-
mobiliar eingelegt sind. Wappen, die in der Bauern-
kimst anderer Gegenden, z. B. Hadelns, Wurstens
u. s. w. eine Rolle spielen, kommen hier selten vor.

Betrachten wir zunächst die Ornamentik des
Hausäusseren.

In den Schnitzereien des Ständer-
werks finden wir die Halbsonnen der
deutschen Renaissance, daneben aber
auch schon im 16. Jahrhundert eigen-
artige, aber noch nicht naturalistische
Blumenzweige. Durch Verwendung von
etwas Rot ist gelegentlich die Wirkung
noch gehoben.

Die Pferdeköpfe des Giebels haben
reiche ornamentale Ausbildung erfah-
ren; bemalt sind sie nur sehr selten.

Ziegelmuster finden wir an ein
und demselben Hause in allerlei ver-
schiedener Zusammensetzung, obschon
lange nicht in demselben Masse, wie
an Altländer Häusern (Seite 87). An
einigen wenigen Häusern, besonders
in Altengamme, beobachten wir eine
andere Schmucktechnik, eine Art Sgraf-
fito, von der unsere Abbildung Seite 87
ein schönes Beispiel giebt. Über den
Ziegelsteingrund ist erst eine gleich-
massige, dünne, weisse Mörtelschicht
aufgetragen. Dann ist durch Über-
malen mit Rot mit Auslassung grös-
serer weisser Flächen und Wieder-
herauskratzen weisser Ornamente (Kreis-
linien und Blumenmotive) eine sehr
reiche und schöne Wirkung erreicht.
Dieselbe Technik finden wir, wenn-
schon heute sehr selten, im Innern
des Hauses bisweilen angewandt. Auch

Hemdknöpfe für Männer und Ehering.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg

Pantoffel. Adler auf rot Flanell, grün.
Kontur ziegelrot, blau, grün, rosa, gelb

weiss. Schwarz, rot, gelb Leder.
Aufgenommen von H. Haase, Hamburg.

auf Ziegelsteinumrahmungen
ovaler Giebelfenster finden wir,
aber gleichfalls selten, einen
Blätterkranz in ähnlicher Weise
hergestellt.

Die Fenster sind äussert ich
schmucklos, die Thür dagegen
ist ornamental schön ausgebil-
det. Ich muss hier einschieben,
dass die grosse Thür des Vier-
länder Hauses der Strasse abge-
wandt ist und selten besonders
verziert ist, die Schaugiebelseite
hat keine Thür (wieder im Ge-
gensatze zum Alten Lande), da-
gegen hat jede Langseite eine
solche. Anfangs geradlinig oder
viertelkreisförmig abgeschlossen,
hat der mit Schrift und etwas Ornament gezierte obere
Balken der Thüreinfassung später immer reicheren
Umriss angenommen. Die Thür besteht aus Ober- und
Unterteil, sie ist durch ein paar ausgesägte Leisten ein
wenig verziert, hie und da finden wir noch alte
eiserne Thürklopfer. Bei vielen Thüren findet man ein
kleines schmales Vordach mit einer hübschen, eigen-
artigen Krönung.

Fahnden wir nun einmal im Innern des Hauses
herum. Es ist da unumgänglich nötig, dass wir der
grossen Liebenswürdigkeit ein Lob zol-
len, mit welcher die Vierländer uns
ausnahmslos in ihrem Hause jederzeit
umherführen.

Es ist im Innern aber so viel zu
schildern, dass eine Einteilung absolut
im voraus erforderlich ist.

Ich nehme zunächst die Teile des
Hausrats heraus, die nicht Vierländer
Ursprungs sind, sondern aus der Stadt
Hamburg stammen. Das sind zunächst
die schönen Barock- und Rokoko-
schränke, die im Flett, d. h. der Quer-
diele des Hauses, stehen, das ist ferner
der blaubemalte Ofen der Wohnstube,
der in seinen schönsten Exemplaren
der hochentwickelten Hamburgischen
Ofenbaukunst des vorigen Jahrhunderts
entstammt (Seite 85). Wir finden aber
auch ältere, plastisch verzierte Öfen
Lüneburger Stils (obschon höchst selten)
und spätere mit leichtem, blaugemalten
Blumenwerk und schüchternen Louis
XVI.-Motiven verzierte Öfen aus dem
kleinen Städchen Bergedorf. Nicht
Vierländer Arbeit sind ferner die
Kacheln, welche zum Teil die Wände
der Stuben und den Unterbau der
deutschen Herde auf der Diele beklei-
den. Die ältesten Kacheln, die vorkom-
men, mit schön gezeichnetem, dunkel-
blauen Tulpenornament bemalt, sind
holländischen Ursprungs, ebenso die sie

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