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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Obrist, Hermann: Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das Kunstgewerbe zu heben?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0104

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02 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?

Tauf-Plakette von Bildhauer ADOLF AMBERO in Charlottenburg. II. Preis.')

vor, sondern
sie greift gern
der Zukunft
vor. Fast im-
mer haben die
Frauen wenig-
stens die Nei-
gung zum
fortgeschritte-
nen Ge-
schmack in
Kunst und Lit-
tcratur. Und
wenn sie sich
nur auf sich
selber besin-
nen wollten,
so würden sie
auch finden,
dass sie mehr

Sinn dafür
haben, ob ein
Gerät prak-
tisch, bequem und zweckmässig ist, als die Männer, ganz
spezielfdie Männer, welche eben diese Geräte anfertigen.
Welcher Widerspruch liegt doch darin z. B., dass alle
diejenigen Handwerker, ganz speziell die Tapezierer,
welche alles das erzeugen, was in unseren Salons zum
Gebrauche und zur Zierde herumsteht, gar nicht in
die Lage kommen, in eben diesen Salons zu verkehren,
um so sich zu überzeugen, wie unzweckmässig und
direkt hässlich vieles darin ist. Und wir alle, nicht
zum wenigsten unsere Frauen, für die alles das in
erster Linie existiert, reagieren viel zu wenig und
lassen sich viel zu sehr tyrannisieren von Fabrikanten,
Ladeninhabern, Dekorateuren und von dem Geschmacke
desjenigen Teils des Publikums, der in der That, aber
leider, existiert; der das reich aussehende, das imi-
tierte, das in die Augen springende liebt, und auf
den die Fabrikanten in der That, aber leider, mit
Sicherheit spekulieren können und es auch reichlich
thun. Statt dass die Verfeinerten, die Vorgeschrittenen,
diejenigen, die Zeit und Müsse haben, sich der künst-
lerischen Ausgestaltung des Heims zu widmen, und
das sind in erster Linie die Frauen unserer wohlha-
benden Stände, die Initiative ergreifen, um den Ge-
schmack im Kunstgewerbe zu diktieren, lassen sie sich
im Strome treiben, nehmen was da ist, lassen sich
den ganzen minderwertigen Geschmack der Produ-
zenten gefallen, von dem dann jene sagen, dass es
der unsere ist. Der Fabrikant hat gut reden: Das
Publikum verlangt diese und jene Ware. Gewiss,
ein Teil des Publikums verlangt im Laden direkt ver-
goldete Kandelaber im Barockstil auf chinesischem
Vasenkörper. Aber der andere Teil des Publikums,
dessen Zahl leider viel zu gering angeschlagen wird,
verlangt sie nicht, sondern lässt sie sich nur gefallen,
ohne sie besonders zu goutieren. Die ganze Legende,
dass die Fabrikanten und die Kunstgewerbetreibenden
nur das produzieren, was das Publikum verlangt, be-

ruhtauf einem
subtilen, aber
folgeschwe-
ren Missver-
ständnis, an
dem Schuld
trägt die Indo-
lenz desjeni-
gen Teils der
Gebildeten,
welcher der
führende sein
sollte. Nie-
mand wäre er-
staunter als
derProduzent,
wenn das Pu-
blikum einmal

etwas ver-
langte. Man
stelle sich ein-
mal die Ver-
wirrung in
den Geschäften vor und die Ratlosigkeit der Ladenin-
haber, wenn innerhalb weniger Tage fünfzig Menschen
einmal ein Porzellanservice verlangten, das nicht
Meissener, nicht Nymphenburger und nicht neueng-
lischen Stil hätte.

Aber das können wir ja gar nicht verlangen, wird
man mir zurufen. Ich möchte wieder auf den oben
erwähnten Begriff Ausstattungen zurückkommen. Hier
ist es, wo das Publikum, speziell unsere Frauen, den
Hebel ansetzen können. Hier, wenn es sich um die
Einrichtung eines neuen Heims handelt, ist der Wende-
punkt im Leben jeweils zweier Menschen gekommen,
wo die Macht des Alten, des Ererbten einmal ge-
brochen werden könnte. Wer die Mittel hat, eine
Ausstattung bestellen zu können, sogar eine einfache,
und in dieser Lage sind doch jetzt zahlreiche Men-
schen, der sollte seinem Schicksale danken, der sollte
sich selber zurufen: Ich will jetzt aus dem mir vom
Schicksale oder von meiner eigenen Arbeit verliehenen
Mitteln das denkbar grösste Mass von Genuss mir
selber erzeugen. Es soll alles behaglich sein. Es
soll vornehm sein, was nur möglich ist bei Abwesen-
heit von Überladung und Imitiertem. Es soll meinen
persönlichen, nicht den sogenannten durchschnittlichen
Bedürfnissen angepasst sein. Es soll hübsch und
apart sein, wenn irgend möglich sogar schön und
eigenartig sein. Ich will mir das alles mit Mitarbeitern
extra ausdenken und wenn Freunde zu mir kommen,
sollen sie mich bewundern, ja beneiden. Es soll mir
Lust und Spass machen trotz der vielen Mühe, ich
will eitel stolz auf mein Heim werden und auf jeden
Stuhl darin, auf mein Heim, das nicht ist wie das
meines Nachbars. Ich will ihn nicht übertrumpfen
damit, dass ich überbiete, sondern damit, dass er
mich sobald nicht kopieren kann.

So soll der mit Gütern gesegnete reden. Statt
dessen wird nur zu oft folgendes gethan, wenn es

1) Vergl. Kunstgewerbeblatt, N. F. X., S. 196.
 
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