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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Obrist, Hermann: Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das Kunstgewerbe zu heben?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0108

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a6 HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN?

driessen Iässt, Jahre lang sich abzumühen, um ein
brauchbares Tier zu erziehen, so ist nicht abzusehen,
warum er und seine Gemahlin zusammen nicht sich
gedulden sollten, um ein Interieur zu schaffen, das
einzig in seiner Art dastehen würde, ohne deswegen
irgendwie besonders kostspielig gewesen zu sein.
Wirklich kostspielig werden jedoch nurGegenstände, die
ohne besonnene Überlegung gemacht werden. Wenn
man aber mit den früher erwähnten Bedingungen an
einen Kunsthandwerker herantritt und nicht eher an-
gefangen wird, als bis Zeichnung oder kleines Modell
geprüft worden sind, deren Kosten nicht gross sind,
dann geht man so gut wie sicher.

Wenn nun die Kreise der Kunsthandwerker wieder-
holt innerhalb kurzer Zeit durch die energische Initia-
tive einzelner kunstsinniger Bürger durch solche Auf-
träge überrascht worden wären, so würde das ein-
treten, was sich anderorten, besonders in England,
längst gezeigt hat. Es würden sich an den un-
vermutetsten Stellen Talente melden. Wie man in den
Wald ruft, so schallt es heraus. Man entgegne mir
nicht, dass der Geschmack unserer Frauen noch nicht
genug entwickelt sei, dass, wenn sie kein eigenes
Vermögen haben, sie von ihren Männern abhängig
wären u. s. w.

Wenn die Diskretion es nicht verböte, so würde
es mir zur seltenen Freude gereichen, das Nähere von

Tisch und Stuhl im nordischen Stil, entworfen und ausgeführt ii
von F. A. SCHÜTZ, Hofmöbelfabrik, Leipzig

einer Frau zu erzählen, die nicht etwa theoretisch vor-
handen ist, sondern die thatsächlich lebt, und die ich
persönlich kenne, die noch vor zwei Jahren ein ganzes
Haus voller »guten Stuben« bewohnte und die jetzt
nicht nur zwei Töchter bei ihrer Verheiratung aus
eigener Initiative ganz einzig eigenartig ausgestattet
hat, sondern jetzt sogar angefangen hat, im eigenen
Heime eine »gute Stube« nach der andern systematisch
auszurangieren. Und ihr Mann, weit entfernt davon,
sie daran zu verhindern, lässt sie ruhig, wenn auch
mit etwas Staunen gewähren, denn sie macht es
systematisch und mit Erfolg, nicht launisch und hastig,
und ein Mann bewundert immer etwas, was mit Plan
und Überzeugung geschieht.

Diese Frau ist eine von den ganz wenigen Müttern,
die es begriffen haben und ihren Töchtern klar gemacht
haben, dass sie von dem, was sie zur Aussteuer er-
hielten, nunmehr zwanzig Jahre, wenn nicht noch
länger umgeben sein werden, und dass man garnicht
vorsichtig genug darin sein kann zu verhüten, dass
das, was einem jetzt elegant und hochmodern vor-
kommt, später als Krempel erscheine.

Und wenn man uns nun zuguterletzt noch ein-
wenden wollte, es sei doch zu viel verlangt, so auf
gut Glück blindes Vertrauen in etwas zu haben, wovon
so gut wie nichts zu sehen ist, so können wir auch
hier zur Beruhigung darauf hinweisen, dass in so

manchen Orten unserer schö-
nen deutschen Lande sehr hoff-
nungsvolle Anfänge zu einer
solchen neuen Zeit gemacht
worden sind, und dass das
Traumland, das ich schon
skizzierte, anfängt Gestalt zu
gewinnen. Die Anfänge sind
nichtmehrzu machen, sie sind
gemacht. Es haben Künstler
teilsaus eigener Initiative, teils

geholfen, angeregt durch
kunstsinnige Mäcene, neue
Bahnen im Kunstgewerbe be-
schritten und sie auch kom-
merziell so ausgestaltet, dass
der Käufer ohne grosse Mühe
das finden kann, wovon wir
gesprochen. In München, Ber-
lin, Dresden, Karlsruhe,
Darmstadt und in noch manch
anderer Stadt herrscht ein re-
ges Leben. Man unterstütze
dieses, wenn man am Orte,
wo man lebt, daran verzwei-
felt, das neue Leben zu
wecken. Das Beste aber ist:
den heimischen Kräften neues
Blut, neue Zuversicht einzu-
flössen.

Es würde ein Treiben
und Knospen sondergleichen
im Kunstgewerbe und unter
den Künstlern entstehen. Man

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