GESCHICHTE UND ÄSTHETIK DES KÜNSTLERISCHEN BUCHEINBANDES
103
Bucheinband von P. KERSTEN, Aschaffenburg.
nmsteranordnung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts steht Roger Payne, f 1779, als der bedeutendste
an der Spitze der englischen Buchbinder. Seine Werke,
die sehr gesucht waren, sind mit grosser Accuratesse
vergoldet; er band besonders für Lord Spencer. Die
Zeichnungen zu seinen Einbänden und die Werkzeuge
dazu fertigte er selber. Weder vor ihm noch nach
ihm hat ein anderer seiner Landsleute es verstanden,
so künstlerisch individuelle Werke zu schaffen wie
er; auch war er einer der ersten, wenn nicht gar der
erste überhaupt, der die Einband Verzierung mit dem
Inhalt des Buches in Einklang zu bringen versuchte.
In Deutschland fand der künstlerische, mit Hand-
vergoldung verzierte Ganzlederband um die Mitte des
16. Jahrhunderts Eingang und zwar ebenfalls von
Venedig aus; teils geschah es durch die Frankfurter
Blichhändlermesse, auf welcher schon seit Jahren in
Venedig gedruckte Bücher gehandelt wurden, teils
durch gelehrte deutsche Mönche, die, in Italien stu-
dierend, mit den dortigen Druckern bekannt wurden
und deren Werke auch gebunden nach Deutschland
brachten, wie der gelehrte Mutianus Rufus des Klos-
ters Georgenthal, der mit Aldus Manutius persönlich
bekannt gewesen sein soll. Als Wiege des deutschen,
ganz besonders des sächsischen Einbandes ist die 1502
von Kurfürst Friedrich dem Weisen gegründete Uni-
versität Wittenberg zu bezeichnen. Von den deutschen
Bücherfreunden damaliger Zeit ist besonders den
Fuggers in Augsburg, dem Grafen Mansfeld, vor
allem aber dem Kurfürst August von Sachsen, gest.
1586, die Einführung der neuen Art der Buchdecken-
verzierung zu verdanken. Letzterer rief 1566 den
Augsburger Buchbinder Jakob Krause an seinen Hof,
dem später, 1578, Kaspar Meuser nachfolgte. Die
Verzierung der deutschen Einbände bestand anfänglich
in Kartuschen- und Stempelrankenwerk, dem sich
dann das spitzen- und fächerartige Ornament anschloss.
Der dreissigjährige Krieg führte leider auch den
Verfall der Kunstbuchbinderei herbei.
Aus dem Ende des 18. und dem Anfang des
19. Jahrhunderts sind Bucheinbände von Bedeutung
fast gar nicht bekannt. Erst seit den vierziger Jahren
ist wieder ein Aufschwung in der Kunstbuchbinderei
zu verzeichnen, und zwar waren es zunächst die
Deutschen Purgold und Trautz in Paris, Baumgärtner,
Kalthöfer und ganz besonders Zähnsdorf in London,
die den Einbänden neuen künstlerischen Wert ver-
liehen. Weiter sind noch von französischen Buch-
bindern von Bedeutung die Pariser Michel sen., Duru,
Cape, Niedree, Cuzin, Lortic und ganz besonders
Amand, der sich durch wirklich originelle Einband-
entwürfe auszeichnete, zu nennen. In Österreich war
es zuerst Franz Wunder in Wien, der auf der Wiener
Weltausstellung 1873 m't seinen künstlerischen Buch-
einbänden in Handvergoldung und Ledermosaik ein
ungeheueres Aufsehen erregte; Wunder ist auch der-
jenige, dem wir die Wiederbelebung der Lederpunz-
arbeit verdanken. Durch seine Arbeiten wurden die
tüchtigsten deutschen Buchbinder angeregt, und lang-
sam begann sich der künstlerische Bucheinband wieder
Bahn zu brechen. Voigt, Collin und Demuth in
Berlin, Graf in Altenburg, Scholl in Durlach, Kreyen-
hagen in Osnabrück, Anderssen in Rom, Beck in
Stockholm, Vogel in Jena, Krehahn in Weimar,
Fritzsche und Julius Hager in Leipzig, Attenkofer in
München, Pollack und Franke in Wien, sind hier
zu nennen. Später waren es die Vergoldeschulen,
besonders die von O. Hörn und W. Patzelt in Gera
und von A. Kulimann in Glauchau geleiteten, die den
Sinn und das rechte Verständnis für künstlerische
Einbände in Hunderte ihrer fleissigen Schüler ver-
pflanzten.
Was die künst-
lerischen Einbände
der Jetztzeit betrifft,
so ist bei allen
Nationen teilweise
ein mehr oder we-
niger grosser Fort-
schritt zu verzeich-
nen; eine ausge-
bildetere Technik
in der Herstellung
des Buchblockes,
welches Privilegi-
um man früher nur
den Franzosen zu-
erkennen konnte,
und Originalität in
den Entwürfen
zeichnen die jetzi-
gen Einbände aus.
Wie allenthalben
. . , 1 ,• Bucheinband von P. KERSTEN,
in den dekorativen Aschaffenburg.
16*
103
Bucheinband von P. KERSTEN, Aschaffenburg.
nmsteranordnung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts steht Roger Payne, f 1779, als der bedeutendste
an der Spitze der englischen Buchbinder. Seine Werke,
die sehr gesucht waren, sind mit grosser Accuratesse
vergoldet; er band besonders für Lord Spencer. Die
Zeichnungen zu seinen Einbänden und die Werkzeuge
dazu fertigte er selber. Weder vor ihm noch nach
ihm hat ein anderer seiner Landsleute es verstanden,
so künstlerisch individuelle Werke zu schaffen wie
er; auch war er einer der ersten, wenn nicht gar der
erste überhaupt, der die Einband Verzierung mit dem
Inhalt des Buches in Einklang zu bringen versuchte.
In Deutschland fand der künstlerische, mit Hand-
vergoldung verzierte Ganzlederband um die Mitte des
16. Jahrhunderts Eingang und zwar ebenfalls von
Venedig aus; teils geschah es durch die Frankfurter
Blichhändlermesse, auf welcher schon seit Jahren in
Venedig gedruckte Bücher gehandelt wurden, teils
durch gelehrte deutsche Mönche, die, in Italien stu-
dierend, mit den dortigen Druckern bekannt wurden
und deren Werke auch gebunden nach Deutschland
brachten, wie der gelehrte Mutianus Rufus des Klos-
ters Georgenthal, der mit Aldus Manutius persönlich
bekannt gewesen sein soll. Als Wiege des deutschen,
ganz besonders des sächsischen Einbandes ist die 1502
von Kurfürst Friedrich dem Weisen gegründete Uni-
versität Wittenberg zu bezeichnen. Von den deutschen
Bücherfreunden damaliger Zeit ist besonders den
Fuggers in Augsburg, dem Grafen Mansfeld, vor
allem aber dem Kurfürst August von Sachsen, gest.
1586, die Einführung der neuen Art der Buchdecken-
verzierung zu verdanken. Letzterer rief 1566 den
Augsburger Buchbinder Jakob Krause an seinen Hof,
dem später, 1578, Kaspar Meuser nachfolgte. Die
Verzierung der deutschen Einbände bestand anfänglich
in Kartuschen- und Stempelrankenwerk, dem sich
dann das spitzen- und fächerartige Ornament anschloss.
Der dreissigjährige Krieg führte leider auch den
Verfall der Kunstbuchbinderei herbei.
Aus dem Ende des 18. und dem Anfang des
19. Jahrhunderts sind Bucheinbände von Bedeutung
fast gar nicht bekannt. Erst seit den vierziger Jahren
ist wieder ein Aufschwung in der Kunstbuchbinderei
zu verzeichnen, und zwar waren es zunächst die
Deutschen Purgold und Trautz in Paris, Baumgärtner,
Kalthöfer und ganz besonders Zähnsdorf in London,
die den Einbänden neuen künstlerischen Wert ver-
liehen. Weiter sind noch von französischen Buch-
bindern von Bedeutung die Pariser Michel sen., Duru,
Cape, Niedree, Cuzin, Lortic und ganz besonders
Amand, der sich durch wirklich originelle Einband-
entwürfe auszeichnete, zu nennen. In Österreich war
es zuerst Franz Wunder in Wien, der auf der Wiener
Weltausstellung 1873 m't seinen künstlerischen Buch-
einbänden in Handvergoldung und Ledermosaik ein
ungeheueres Aufsehen erregte; Wunder ist auch der-
jenige, dem wir die Wiederbelebung der Lederpunz-
arbeit verdanken. Durch seine Arbeiten wurden die
tüchtigsten deutschen Buchbinder angeregt, und lang-
sam begann sich der künstlerische Bucheinband wieder
Bahn zu brechen. Voigt, Collin und Demuth in
Berlin, Graf in Altenburg, Scholl in Durlach, Kreyen-
hagen in Osnabrück, Anderssen in Rom, Beck in
Stockholm, Vogel in Jena, Krehahn in Weimar,
Fritzsche und Julius Hager in Leipzig, Attenkofer in
München, Pollack und Franke in Wien, sind hier
zu nennen. Später waren es die Vergoldeschulen,
besonders die von O. Hörn und W. Patzelt in Gera
und von A. Kulimann in Glauchau geleiteten, die den
Sinn und das rechte Verständnis für künstlerische
Einbände in Hunderte ihrer fleissigen Schüler ver-
pflanzten.
Was die künst-
lerischen Einbände
der Jetztzeit betrifft,
so ist bei allen
Nationen teilweise
ein mehr oder we-
niger grosser Fort-
schritt zu verzeich-
nen; eine ausge-
bildetere Technik
in der Herstellung
des Buchblockes,
welches Privilegi-
um man früher nur
den Franzosen zu-
erkennen konnte,
und Originalität in
den Entwürfen
zeichnen die jetzi-
gen Einbände aus.
Wie allenthalben
. . , 1 ,• Bucheinband von P. KERSTEN,
in den dekorativen Aschaffenburg.
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