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VIERLANDER KUNST
legt, natürlich eine Menge moderner öder Fabrikate
darunter, aber es sind auch nicht wenig alte vorhan-
den, so Gobelinkissen, alte schöne, zerschlissene, gross-
blumige Stickereien, vor allem aber Flickenkissen in
abwechslungsreichen schönen Mustern. —
Haus und Kirche sind durchstreift, es bleiben
noch der Garten und das Feld. Als Erzeugnis der
Bauernkunst, wennschon der bescheidensten, untersten
Stufe, müssen wir auch den Feldzaun ansehen, in dem
man ja eine der ältesten Erfindungen des mensch-
lichen Geistes vor sich hat, und den wir mancher-
orts, z. B. in Tirol, der Lüneburger Haide u.a.O. drollig
ausgebildet finden. Auffallenderweise wiederholt sich
auch beim Zaun die der gesamten Bauernkunst eigene
Eigenschaft, von Stamm zu Stamm sich zu ändern.
Das einfache Thema hat bei all unseren deutschen
Stämmen verschiedene Lösungen gefunden. In den
Vierlanden ist er aus dem Grunde sehr selten, weil
er nicht nötig ist: alle Felder sind nämlich durch
schmale Gräben von einander getrennt. Wo wir ihn
einmal finden, besteht er aus weit von einander
stehenden Pfostenpaaren, die durch zwei Weidenruten-
schlingen oben und in halber Höhe verbunden sind,
und auf die Schlingen aufgelegten langen Latten.
Auch der Gartenzaun ist nicht häufig, da die Hecke
ihn ersetzt, und hat keinen besonderen Typus ausge-
bildet. Nur die Feldeingänge und Garteneingänge
sind ausgebildet. Erstere bilden ein langes, niederes
Gatter, das oben einen dicken, über den Drehpunkt
hinaus verlängerten Balken trägt. Dadurch ist das Gatter,
Heck genannt, leicht beweglich. Eine besondere
Stütze stützt das offenstehende Heck. Der ausgebil-
dete Garten- oder Hofeingang, der indes nicht besonders
häufig ist, besteht aus zwei oder drei dicken, abge-
fassten, profilierten und oben flach pyramidal abge-
schlossenen Pfosten, zwischen denen eine niedere
Doppelthür aus Latten und runden Stäben für Wagen
und eine einfache für Fussgänger sich bewegen.
Alles ist weiss gestrichen.
Hie und da finden wir im Garten anmutige
weisse Lauben aus Latten und runden Stäben recht
hübsch zusammengefügt, offenbar unter Einfluss des
Louis XVI.-Stiles entstanden, manchmal ist z. B. in
dem oberen Giebeldreieck eine strahlende Sonne aus
solchen Stäben gebildet. Desgleichen zeigen die
Gartenbänke Louis XVI. Einfluss. —
Lassen wir das Bild, wie es sich vor uns auf-
gerollt hat, in seiner Gesamtheit noch einmal an uns
vorübergleiten, so erhalten wir den Eindruck einer
ausserordentlich gesunden, an innerem Eigenleben
ausserordentlich reichen Kunst, die allezeit mitten im
Leben stand, die sich völlig deckt mit dem Charakter
der Bevölkerung, wie des Landes, einer Kunst, die
im wahren Sinne des Wortes volkstümliche Kunst ist
— gewesen ist, wie wir leider sagen müssen.
Wie es ein Jammer ist, wenn wir einen Mann
von ausgeprägtem Eigencharakter vom Schicksal dazu
verurteilt sehen, durch allerlei Misere an der Aus-
bildung und dem Ausleben seines Charakters verhin-
dert zu werden und in der grossen Masse von Nullen
spurlos unterzugehen, so ist es auch ein trauriger An-
blick, wenn man ein so lebensvolles Gebilde, wie
solch volkstümliche Sonderkunst, in den Augenblicken
seines Absterbens beobachtet.
Die lebendigen Zeugen kräftigen eigenen Schön-
heitssinnes der Vorfahren treten in der Wertschätzung
der Enkel zurück vor den köstlichen Gebilden der
modernen Möbel- und Fünfgroschenbazare! — »Wat
schall Ein dorbi dauhn?« — achselzuckend schaut
man dem Schauspiele zu, 's ist ja so und sovielmal
theoretisch bewiesen, dass die alte deutsche Bauern-
kunst, der selbständigsten Zweige unserer deutschen
Kunst einer, der ehrwürdigsten einer, untergehen muss!
Muss er's wirklich?
Es sieht in den Vierlanden so aus. Die alten
Bauernhäuser machen hochmodernen Kästen im
Schweizerstil und mit griechisch sein sollenden Orna-
menten Platz, die alten Öfen verschwinden einer nach
dem andern, die Vertäfelungen weichen der Papier-
tapete u. s. w.
Nur die Lieblingstechnik der Intarsia wird von
den Tischlern des Ländchens noch ab und zu einmal
ausgeübt, ja mit Vergnügen hört man, dass einzelne
junge Tischlergesellen mit grösster Hingabe sie zu
pflegen sich bemühen.
Das ist aber gerade ein Umstand, der zu denken
giebt.
Es sind also unter der Jugend, der Zukunft des
Landes, Elemente vorhanden, welche die alte volks-
tümliche Kunst schätzen und weiterzubilden bereit
sind, wenn man's von ihnen fordert.
Was ist's, das der alten Kunst den. Untergang
bereitet? Die Stadt. Nun sehen wir aber gerade die
städtische Kunst im Begriff, sich im Grunde umzu-
ändern und zwar gerade in einer Richtung, die sie
alter volkstümlicher Kunst wieder nähert, nachdem sie
so und so lange den Charakter künstlich getriebener
Kunst aufwies.
Eigenart will sie entwickeln, aus dem gegen-
wärtigen Bedürfnis heraus will sie ihre Formen ent-
wickeln, einfache Schönheit will sie bevorzugen, aus
der Natur will sie ihre Zierformen holen - - ja ist
denn das etwas anderes, als was die deutsche Bauern-
kunst, die Vierländer mit in erster Linie,*immer ge-
than hat?
Lassen wir ein paar Jahre einmal vorüber sein,
bis die neuen Gedanken Allgemeingut sind, bis auch
insbesondere unser deutscher Volkscharakter sich die-
selben unterworfen hat, thun wir dann etwas dafür,
dass, wie in der Stadt, so auch auf dem Lande etwas
für Handwerker- und Dilettantenausbildung geschieht
- erscheint es dann so undenkbar, dass es neben
einer gesunden, eigen-lebendigen deutschen städtischen
Kunst auch eine wiedererwachte gesunde bäurische
Kunst giebt, die uns erst wirklich von volkstümlich ge-
wordener Kunst sprechen lässt?
Inzwischen wäre es wünschenswert, dass man
sich die deutsche Bauernkunst einmal ein bissei ge-
nauer ansähe; abgesehen von Mielke's »Volkskunst«,
Zell's kürzlich erschienenen »Bauernmöbeln aus den
Bayerischen Hochlanden« und dem Artikel von
A. Kurzwelly über die Bäuerliche Kleinkunst Sachsens
VIERLANDER KUNST
legt, natürlich eine Menge moderner öder Fabrikate
darunter, aber es sind auch nicht wenig alte vorhan-
den, so Gobelinkissen, alte schöne, zerschlissene, gross-
blumige Stickereien, vor allem aber Flickenkissen in
abwechslungsreichen schönen Mustern. —
Haus und Kirche sind durchstreift, es bleiben
noch der Garten und das Feld. Als Erzeugnis der
Bauernkunst, wennschon der bescheidensten, untersten
Stufe, müssen wir auch den Feldzaun ansehen, in dem
man ja eine der ältesten Erfindungen des mensch-
lichen Geistes vor sich hat, und den wir mancher-
orts, z. B. in Tirol, der Lüneburger Haide u.a.O. drollig
ausgebildet finden. Auffallenderweise wiederholt sich
auch beim Zaun die der gesamten Bauernkunst eigene
Eigenschaft, von Stamm zu Stamm sich zu ändern.
Das einfache Thema hat bei all unseren deutschen
Stämmen verschiedene Lösungen gefunden. In den
Vierlanden ist er aus dem Grunde sehr selten, weil
er nicht nötig ist: alle Felder sind nämlich durch
schmale Gräben von einander getrennt. Wo wir ihn
einmal finden, besteht er aus weit von einander
stehenden Pfostenpaaren, die durch zwei Weidenruten-
schlingen oben und in halber Höhe verbunden sind,
und auf die Schlingen aufgelegten langen Latten.
Auch der Gartenzaun ist nicht häufig, da die Hecke
ihn ersetzt, und hat keinen besonderen Typus ausge-
bildet. Nur die Feldeingänge und Garteneingänge
sind ausgebildet. Erstere bilden ein langes, niederes
Gatter, das oben einen dicken, über den Drehpunkt
hinaus verlängerten Balken trägt. Dadurch ist das Gatter,
Heck genannt, leicht beweglich. Eine besondere
Stütze stützt das offenstehende Heck. Der ausgebil-
dete Garten- oder Hofeingang, der indes nicht besonders
häufig ist, besteht aus zwei oder drei dicken, abge-
fassten, profilierten und oben flach pyramidal abge-
schlossenen Pfosten, zwischen denen eine niedere
Doppelthür aus Latten und runden Stäben für Wagen
und eine einfache für Fussgänger sich bewegen.
Alles ist weiss gestrichen.
Hie und da finden wir im Garten anmutige
weisse Lauben aus Latten und runden Stäben recht
hübsch zusammengefügt, offenbar unter Einfluss des
Louis XVI.-Stiles entstanden, manchmal ist z. B. in
dem oberen Giebeldreieck eine strahlende Sonne aus
solchen Stäben gebildet. Desgleichen zeigen die
Gartenbänke Louis XVI. Einfluss. —
Lassen wir das Bild, wie es sich vor uns auf-
gerollt hat, in seiner Gesamtheit noch einmal an uns
vorübergleiten, so erhalten wir den Eindruck einer
ausserordentlich gesunden, an innerem Eigenleben
ausserordentlich reichen Kunst, die allezeit mitten im
Leben stand, die sich völlig deckt mit dem Charakter
der Bevölkerung, wie des Landes, einer Kunst, die
im wahren Sinne des Wortes volkstümliche Kunst ist
— gewesen ist, wie wir leider sagen müssen.
Wie es ein Jammer ist, wenn wir einen Mann
von ausgeprägtem Eigencharakter vom Schicksal dazu
verurteilt sehen, durch allerlei Misere an der Aus-
bildung und dem Ausleben seines Charakters verhin-
dert zu werden und in der grossen Masse von Nullen
spurlos unterzugehen, so ist es auch ein trauriger An-
blick, wenn man ein so lebensvolles Gebilde, wie
solch volkstümliche Sonderkunst, in den Augenblicken
seines Absterbens beobachtet.
Die lebendigen Zeugen kräftigen eigenen Schön-
heitssinnes der Vorfahren treten in der Wertschätzung
der Enkel zurück vor den köstlichen Gebilden der
modernen Möbel- und Fünfgroschenbazare! — »Wat
schall Ein dorbi dauhn?« — achselzuckend schaut
man dem Schauspiele zu, 's ist ja so und sovielmal
theoretisch bewiesen, dass die alte deutsche Bauern-
kunst, der selbständigsten Zweige unserer deutschen
Kunst einer, der ehrwürdigsten einer, untergehen muss!
Muss er's wirklich?
Es sieht in den Vierlanden so aus. Die alten
Bauernhäuser machen hochmodernen Kästen im
Schweizerstil und mit griechisch sein sollenden Orna-
menten Platz, die alten Öfen verschwinden einer nach
dem andern, die Vertäfelungen weichen der Papier-
tapete u. s. w.
Nur die Lieblingstechnik der Intarsia wird von
den Tischlern des Ländchens noch ab und zu einmal
ausgeübt, ja mit Vergnügen hört man, dass einzelne
junge Tischlergesellen mit grösster Hingabe sie zu
pflegen sich bemühen.
Das ist aber gerade ein Umstand, der zu denken
giebt.
Es sind also unter der Jugend, der Zukunft des
Landes, Elemente vorhanden, welche die alte volks-
tümliche Kunst schätzen und weiterzubilden bereit
sind, wenn man's von ihnen fordert.
Was ist's, das der alten Kunst den. Untergang
bereitet? Die Stadt. Nun sehen wir aber gerade die
städtische Kunst im Begriff, sich im Grunde umzu-
ändern und zwar gerade in einer Richtung, die sie
alter volkstümlicher Kunst wieder nähert, nachdem sie
so und so lange den Charakter künstlich getriebener
Kunst aufwies.
Eigenart will sie entwickeln, aus dem gegen-
wärtigen Bedürfnis heraus will sie ihre Formen ent-
wickeln, einfache Schönheit will sie bevorzugen, aus
der Natur will sie ihre Zierformen holen - - ja ist
denn das etwas anderes, als was die deutsche Bauern-
kunst, die Vierländer mit in erster Linie,*immer ge-
than hat?
Lassen wir ein paar Jahre einmal vorüber sein,
bis die neuen Gedanken Allgemeingut sind, bis auch
insbesondere unser deutscher Volkscharakter sich die-
selben unterworfen hat, thun wir dann etwas dafür,
dass, wie in der Stadt, so auch auf dem Lande etwas
für Handwerker- und Dilettantenausbildung geschieht
- erscheint es dann so undenkbar, dass es neben
einer gesunden, eigen-lebendigen deutschen städtischen
Kunst auch eine wiedererwachte gesunde bäurische
Kunst giebt, die uns erst wirklich von volkstümlich ge-
wordener Kunst sprechen lässt?
Inzwischen wäre es wünschenswert, dass man
sich die deutsche Bauernkunst einmal ein bissei ge-
nauer ansähe; abgesehen von Mielke's »Volkskunst«,
Zell's kürzlich erschienenen »Bauernmöbeln aus den
Bayerischen Hochlanden« und dem Artikel von
A. Kurzwelly über die Bäuerliche Kleinkunst Sachsens