DIE SECHSTE KUNSTGEWERBLICHE AUSSTELLUNG IN NEW GALLERY, LONDON 145
Tiffanyglas in Silber montiert
von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
und der begabte Geo. Walton. Es wäre sonst ein
besserer Eindruck von dem, was in England im
modernen Möbel jetzt geleistet wird, zu erwarten
gewesen. Indessen muss bemerkt werden, dass auch
die Bestrebungen dieser Künstler vereinzelt und
ohne sehr weitreichenden Einfluss sind. Was der
ganzen Richtung hemmend anhaftet, ist der ge-
ringe Sinn für die Bedürfnisse des feineren Hauses.
In diesem sind die bäuerlichen Anläufe der neueren
Schule wenig geschätzt und auch wenig am Platze.
Hier herrscht heute, nachdem die Chippendale-Periode
vorüber ist, durchaus das Sheraton-Möbel wieder,
das, in seiner natürlichen Entwicklung um die Wende
des letzten Jahrhunderts heimisch, heute eine glänzende
Neuherrschaft über das ganze bessere englische Haus
angetreten hat. Seine fein-schlichte Form und Aus-
bildung, die ihm den Charakter einer zur reicheren
Entwicklung und Verfeinerung der Lebensführung
gelangten Bürgerlichkeit verleihen, lassen diese Herr-
schaft gerechtfertigt erscheinen. Seitdem Morris tot
ist, scheint niemand mehr vorhanden zu sein, der
ein der vornehmeren Lebensart entsprechendes Möbel
in neuartiger Form erfinden kann. Während der
Kontinent jetzt die mindestens sehr interessanten
Möbel von van de Velde, Plumet, Eckmann und
Riemerschmidt aufzuweisen hat, scheint in England
die Quelle einer lebenskräftigen Empfindung auf diesem
Gebiet mehr und mehr zu versiegen.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 8.
Ganz anders ist dies auf dem Gebiet des Stoff-
musters. Hier kommt den Engländern der grosse
unwägbare Schatz zugute, der durch die jahrzehnte-
lange Pflege der Stilisierung der Blume angehäuft
worden ist. Pflanzenstudium und Verwendung der
Pflanze zu dekorativen Entwürfen ist in England
heute eine ganz volkstümliche Kunst, die sogar schon
den Kern des Zeichenunterrichts in der Volks-
schule bildet. Das, was ein Morris, Walter Crane
und Voysey in dieser Kunst für das Stoff- und
Tapetenmuster geleistet haben, wird daher nicht nur
von den breitesten Volksschichten verstanden und ge-
würdigt, sondern diese Erzeugnisse werden auch
massenhaft verbreitet und gekauft. Die Verhältnisse
liegen heute in England so, dass das blöde Fabri-
kantenmuster, das die vorigen Jahrzehnte beherrschte,
zum mindesten durch das neuartige künstlerische
Muster stark verdrängt, wenn nicht ersetzt wird.
Hier hat England seine Kulturaufgabe, die Kleinkünste
auf eine neue Grundlage zu stellen, am vollkommensten
und glänzendsten erfüllt. Nach William Morris, der
die Prachtreihe von Stoffen schuf, die in der gegen-
wärtigen Ausstellung die Wände des Südsaales zieren,
hat für das Stoffmuster Voysey die Führerschaft über-
nommen. Seine Stoffe sind nicht so ernst und tief,
wie die des Altmeisters. Sie sind tändelnder und
leichter im Charakter und durchaus einer andern
Stufe in der Qualitätsleiter angehörig. Die ständige
Wiederholung des stilisierten Vogels und anderer
Kinderstubenmotive schwächt auf die Dauer den Ein-
druck ab. Aber er hat doch Treffer ersten Ranges.
Und die bestellenden Fabriken kommen ihm mit
einer vortrefflichen Technik und vor allem mit einem
äusserst sichern Nachfühlen seiner Farbenabsichten
entgegen. So lassen sich auch in der gegenwärtigen
Ausstellung wieder wahre Prachtstücke unter den von
seiner Hand herrührenden Stoffen entdecken. Voysey's
Arbeiten über-
wiegen auf
diesem Gebie-
te durchaus,
an Zahl so-
wohl wie an
Qualität. Wal-
ter Crane hat
einiges nicht
weiter Hervor-
ragende aus-
gestellt, ein
neuer Name
ist in Allan
F. Vigers zu
verzeichnen,
der einige sehr
interessante
Seidenstoffe
vorführt. Ta-
peten sind
ziemlich we-
nig vertreten,
,. « Tiffanyglas in Silber montiert
die AUS- Von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
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Tiffanyglas in Silber montiert
von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
und der begabte Geo. Walton. Es wäre sonst ein
besserer Eindruck von dem, was in England im
modernen Möbel jetzt geleistet wird, zu erwarten
gewesen. Indessen muss bemerkt werden, dass auch
die Bestrebungen dieser Künstler vereinzelt und
ohne sehr weitreichenden Einfluss sind. Was der
ganzen Richtung hemmend anhaftet, ist der ge-
ringe Sinn für die Bedürfnisse des feineren Hauses.
In diesem sind die bäuerlichen Anläufe der neueren
Schule wenig geschätzt und auch wenig am Platze.
Hier herrscht heute, nachdem die Chippendale-Periode
vorüber ist, durchaus das Sheraton-Möbel wieder,
das, in seiner natürlichen Entwicklung um die Wende
des letzten Jahrhunderts heimisch, heute eine glänzende
Neuherrschaft über das ganze bessere englische Haus
angetreten hat. Seine fein-schlichte Form und Aus-
bildung, die ihm den Charakter einer zur reicheren
Entwicklung und Verfeinerung der Lebensführung
gelangten Bürgerlichkeit verleihen, lassen diese Herr-
schaft gerechtfertigt erscheinen. Seitdem Morris tot
ist, scheint niemand mehr vorhanden zu sein, der
ein der vornehmeren Lebensart entsprechendes Möbel
in neuartiger Form erfinden kann. Während der
Kontinent jetzt die mindestens sehr interessanten
Möbel von van de Velde, Plumet, Eckmann und
Riemerschmidt aufzuweisen hat, scheint in England
die Quelle einer lebenskräftigen Empfindung auf diesem
Gebiet mehr und mehr zu versiegen.
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 8.
Ganz anders ist dies auf dem Gebiet des Stoff-
musters. Hier kommt den Engländern der grosse
unwägbare Schatz zugute, der durch die jahrzehnte-
lange Pflege der Stilisierung der Blume angehäuft
worden ist. Pflanzenstudium und Verwendung der
Pflanze zu dekorativen Entwürfen ist in England
heute eine ganz volkstümliche Kunst, die sogar schon
den Kern des Zeichenunterrichts in der Volks-
schule bildet. Das, was ein Morris, Walter Crane
und Voysey in dieser Kunst für das Stoff- und
Tapetenmuster geleistet haben, wird daher nicht nur
von den breitesten Volksschichten verstanden und ge-
würdigt, sondern diese Erzeugnisse werden auch
massenhaft verbreitet und gekauft. Die Verhältnisse
liegen heute in England so, dass das blöde Fabri-
kantenmuster, das die vorigen Jahrzehnte beherrschte,
zum mindesten durch das neuartige künstlerische
Muster stark verdrängt, wenn nicht ersetzt wird.
Hier hat England seine Kulturaufgabe, die Kleinkünste
auf eine neue Grundlage zu stellen, am vollkommensten
und glänzendsten erfüllt. Nach William Morris, der
die Prachtreihe von Stoffen schuf, die in der gegen-
wärtigen Ausstellung die Wände des Südsaales zieren,
hat für das Stoffmuster Voysey die Führerschaft über-
nommen. Seine Stoffe sind nicht so ernst und tief,
wie die des Altmeisters. Sie sind tändelnder und
leichter im Charakter und durchaus einer andern
Stufe in der Qualitätsleiter angehörig. Die ständige
Wiederholung des stilisierten Vogels und anderer
Kinderstubenmotive schwächt auf die Dauer den Ein-
druck ab. Aber er hat doch Treffer ersten Ranges.
Und die bestellenden Fabriken kommen ihm mit
einer vortrefflichen Technik und vor allem mit einem
äusserst sichern Nachfühlen seiner Farbenabsichten
entgegen. So lassen sich auch in der gegenwärtigen
Ausstellung wieder wahre Prachtstücke unter den von
seiner Hand herrührenden Stoffen entdecken. Voysey's
Arbeiten über-
wiegen auf
diesem Gebie-
te durchaus,
an Zahl so-
wohl wie an
Qualität. Wal-
ter Crane hat
einiges nicht
weiter Hervor-
ragende aus-
gestellt, ein
neuer Name
ist in Allan
F. Vigers zu
verzeichnen,
der einige sehr
interessante
Seidenstoffe
vorführt. Ta-
peten sind
ziemlich we-
nig vertreten,
,. « Tiffanyglas in Silber montiert
die AUS- Von Hofgoldschmied H. SCHAPER, Berlin.
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