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DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
In der Moschee durfte nichts in der Dekoration
an in der Wirklichkeit existierende Dinge erinnern,
und höchstens findet sich hie und da ein dekoratives
Motiv, was ursprünglich der Pflanzenwelt entnommen
scheint, obgleich es in seiner starken Stilisierung kaum
noch an sein natürliches Vorbild erinnert. Wenn man
bedenkt, eine wie grosse Rolle Religion und Kirche
in der Entwicklung der Kunst des Abendlandes ge-
spielt haben, so kann man leicht begreifen, dass dieses
Verhalten der muslimischen
Kirche fühlbare Folgen für
die arabische Kunst haben
musste. Sie wurde dadurch
von der Darstellung lebender
Wesen abgehalten, und so
konnte hier
weder der Hi-
storien- noch
der Porträt-,
weder der
Genre- noch
der Tiermaler
entstehen. Die
weitere Aus-
dehnung des
Verbotes auf
alle existieren-
den Dinge
überhaupt
machte auch
den Land-
schafter sowie
den Maler von Stillleben und Archi-
tektur unmöglich. Ebenso ging es
der Bildhauerei, und wie hätte sich
nun unter so gestalteten Umständen
eine der europäischen entsprechende
»hohe, reine Kunst«, ein art pour l'art,
entwickeln können?
Indem somit die arabische Kunst auf
fast alle jene Gebiete verzichtete, welche
der europäischen Kunst ihre Vorbilder
lieferte, zwang sie sich zugleich, dem
Handwerk treu zu bleiben,
denn was hätte der Schöpfer
eines selbständigen, keinem
praktischen Zwecke dienen-
den Kunstwerkes darstellen
können? Wenn deshalb dem
von den italienischen Schatz-
kammern der Kunst kom-
menden Rei-
senden dieara-
bischenKunst-
werke Kairos
uninteressant
und kaum be-
achtenswert
erscheinen, so
kann dies nur
fürdenjenigen
Tischlampe für elektrisches Licht, entworfen von A. RIEGL, München.
zutreffen, der Gemälde und Statuen sucht. Wer da-
gegen den Spuren der eigentlichen Volkskunst, des
Kunsthandwerks, nachgeht, der wird in den Ländern
arabischer Gesittung eine Fülle beachtenswerter Kunst-
werke finden. Nicht nur die hinlänglich bekannten
Ornamente der Decken und Wände der Moscheen,
jene als Arabesken bezeichneten endlosen Schnörkel
und Linien, die sich rastlos ein- und ausschlingen,
immer wieder neue Verbindungen eingehen und trotz
anscheinender Willkürlichkeit
und Planlosigkeit stets genau
berechnete geometrische Fi-
guren bilden; nicht nur die un-
übertroffene Meisterschaft der
Araber auf dem Gebiete der
dekorativen
Kunst,wie wir
sie in den von
märchenhafter
Farbenpracht
erglänzenden
Sälen der AI-
hambra zu
Granada und
desAlcazarszu
Sevilla bewun-
dern , reizen
den Freund
der volkstüm-
lichen Kunst
in Marokko,
Algier, Tunis
und Ägypten, sondern mit nicht minder
hohem Genuss wird er in den Bazaren
und Werkstätten der Töpfer und Tisch-
ler, der Schmiede und Weber, der Gold-
und Lederarbeiter Umschau halten. Denn
die Künstler der genannten Länder be-
gnügen sich heute noch mit der Her-
stellung und Ausschmückung von Ge-
brauchsgegenständen, und die drei-
hundert Goldschmiede, welche in den
engen Buden des Suk-en-Nahasin zu
Kairo ihrem Gewerbe ob-
iegen, sind richtige Kunst-
handwerker, Leute, die mit
Verständnis und Freude das
Rohmaterial selbständigzum
Armband,FussringoderOhr-
gehänge umwandeln. Eben-
so steht es mit den Kupfer-
schmieden,
deren Bazar an
den der Gold-
schmiede \
stösst, mit den
Drechslern,
den Teppich-
wirkern, den
Verfertigern
der bunten
DAS ARABISCHE KUNSTHANDWERK
In der Moschee durfte nichts in der Dekoration
an in der Wirklichkeit existierende Dinge erinnern,
und höchstens findet sich hie und da ein dekoratives
Motiv, was ursprünglich der Pflanzenwelt entnommen
scheint, obgleich es in seiner starken Stilisierung kaum
noch an sein natürliches Vorbild erinnert. Wenn man
bedenkt, eine wie grosse Rolle Religion und Kirche
in der Entwicklung der Kunst des Abendlandes ge-
spielt haben, so kann man leicht begreifen, dass dieses
Verhalten der muslimischen
Kirche fühlbare Folgen für
die arabische Kunst haben
musste. Sie wurde dadurch
von der Darstellung lebender
Wesen abgehalten, und so
konnte hier
weder der Hi-
storien- noch
der Porträt-,
weder der
Genre- noch
der Tiermaler
entstehen. Die
weitere Aus-
dehnung des
Verbotes auf
alle existieren-
den Dinge
überhaupt
machte auch
den Land-
schafter sowie
den Maler von Stillleben und Archi-
tektur unmöglich. Ebenso ging es
der Bildhauerei, und wie hätte sich
nun unter so gestalteten Umständen
eine der europäischen entsprechende
»hohe, reine Kunst«, ein art pour l'art,
entwickeln können?
Indem somit die arabische Kunst auf
fast alle jene Gebiete verzichtete, welche
der europäischen Kunst ihre Vorbilder
lieferte, zwang sie sich zugleich, dem
Handwerk treu zu bleiben,
denn was hätte der Schöpfer
eines selbständigen, keinem
praktischen Zwecke dienen-
den Kunstwerkes darstellen
können? Wenn deshalb dem
von den italienischen Schatz-
kammern der Kunst kom-
menden Rei-
senden dieara-
bischenKunst-
werke Kairos
uninteressant
und kaum be-
achtenswert
erscheinen, so
kann dies nur
fürdenjenigen
Tischlampe für elektrisches Licht, entworfen von A. RIEGL, München.
zutreffen, der Gemälde und Statuen sucht. Wer da-
gegen den Spuren der eigentlichen Volkskunst, des
Kunsthandwerks, nachgeht, der wird in den Ländern
arabischer Gesittung eine Fülle beachtenswerter Kunst-
werke finden. Nicht nur die hinlänglich bekannten
Ornamente der Decken und Wände der Moscheen,
jene als Arabesken bezeichneten endlosen Schnörkel
und Linien, die sich rastlos ein- und ausschlingen,
immer wieder neue Verbindungen eingehen und trotz
anscheinender Willkürlichkeit
und Planlosigkeit stets genau
berechnete geometrische Fi-
guren bilden; nicht nur die un-
übertroffene Meisterschaft der
Araber auf dem Gebiete der
dekorativen
Kunst,wie wir
sie in den von
märchenhafter
Farbenpracht
erglänzenden
Sälen der AI-
hambra zu
Granada und
desAlcazarszu
Sevilla bewun-
dern , reizen
den Freund
der volkstüm-
lichen Kunst
in Marokko,
Algier, Tunis
und Ägypten, sondern mit nicht minder
hohem Genuss wird er in den Bazaren
und Werkstätten der Töpfer und Tisch-
ler, der Schmiede und Weber, der Gold-
und Lederarbeiter Umschau halten. Denn
die Künstler der genannten Länder be-
gnügen sich heute noch mit der Her-
stellung und Ausschmückung von Ge-
brauchsgegenständen, und die drei-
hundert Goldschmiede, welche in den
engen Buden des Suk-en-Nahasin zu
Kairo ihrem Gewerbe ob-
iegen, sind richtige Kunst-
handwerker, Leute, die mit
Verständnis und Freude das
Rohmaterial selbständigzum
Armband,FussringoderOhr-
gehänge umwandeln. Eben-
so steht es mit den Kupfer-
schmieden,
deren Bazar an
den der Gold-
schmiede \
stösst, mit den
Drechslern,
den Teppich-
wirkern, den
Verfertigern
der bunten