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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Plehn, Anna L.: Van de Velde und die Berliner Tischlerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0195

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VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI

Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher Ingenieure; ausgeführt von Professor G. RIEGELMANN, Charlottenburg.

die ewige Nüchternheit der parallelen Linien hin-
auskam, lockte ein Geist voll Schwung und Phan-
tasie van de Velde auf andere Wege. Aber seiner
Natur lag es gänzlich fern, in die spielerische Un-
symmetrie zu verfallen, welche die Kehrseite der eng-
lischen Tischlerei bezeichnet. Mir ist nur ein ein-
ziges unregelmässig gebautes Möbel von dem bel-
gischen Künstler bekannt. Es ist ein Schränkchen in
einem Berliner Privathause, dessen streng rechtwink-
liger Aufbau in der einen Hälfte um zwei Fächer
über die andere hinaufragt. Aber solch primitives
Motiv der Abwechslung erschien ihm bald allzu billig,
sein Ehrgeiz verschmäht neuerdings so leichte Arbeit.
Man weiss wie energisch van de Velde das Logische
als die Quelle der Schönheit bezeichnet hat. Da er
nicht nur ein produktiver, sondern auch ein polemischer
Geist ist, so hat er sich hier und da auch schriftlich
über seine Grundsätze geäussert. Es ist interessant,
zu untersuchen, wie weit Theorie und Praxis sich bei
ihm decken. Aus dem Zweck heraus erfindet er die
Form, und er giebt an, nur darum beständig seine
Modelle zu ändern, weil ihm noch nie eines seiner
Werke vollkommen genügt habe. Wenn ihm erst
einmal ein Stuhl wirklich vollendet gelungen sei, dann
wolle er weiterhin stets nur denselben wiederholen.
Ihn schreckt so wenig die sich hierdurch eröffnende
Perspektive der Gleichförmigkeit, dass er an derselben
Stelle hinzufügt, es sei sein Ideal, diesem einzigen

Möbel in möglichst vielen Exemplaren die weiteste
Verbreitung zu geben, denn höchste Aufgabe der
Kunst sei es, dem Schönheitsbedürfnis und dem Be-
hagen der grossen Masse der Menschheit zu dienen.
Diese Ansicht hängt eng mit der sozialen Anschauung
zusammen, welche die Menschen im Grunde für gleich-
artig hält, und welche dieselben Neigungen und das-
selbe Gefühl bei allen voraussetzt, so dass alle durch
die gleichen Formen befriedigt werden könnten. Wir
anderen, die wir an dieser Gleichartigkeit zweifeln,
und welche auch nicht glauben, dass jemals eine
solche Verarmung an individuellem Empfinden ein-
treten wird, dass man ihm mit einer einzigen Form
beikommen könnte; wir haben nur zu wünschen, dass
der Künstler sein Ideal niemals erreichen möchte,
damit er immer fortfahre, neues zu ersinnen. Einst-
weilen ist er rüstig am Werk, und wer der quellen-
den Frische seiner Erfindung aufmerksam gefolgt ist,
der wird sich sagen, dass jene sicherlich festbegrün-
dete Überzeugung wie bei manchem anderen Künstler
nicht allzuviel mit seinem wirklichen Schaffen zu thun
hat. Dass thatsächlich der Reichtum seiner Formen
nicht allein aus der nackten Notwendigkeit hervorge-
gangen ist, wird aus näherer Betrachtung mancher
Einzelheiten hervorgehen.

Für den ersten Blick ist in allem, was dieser
Künstler schafft, die Vorliebe für die geschwungene
Linie am bemerkbarsten. Freilich muss bei 'einem
 
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