186
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
n *
V».'J<.
im:
—,------------------------,—
Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher Ingenieure;
ausgeführt von Professor O. RIEGELMANN, Charlottenburg.
schliesslichkeit überall den Fuss hingesetzt hätte.
Nur wo der Zweck es befiehlt, oder wo kein Zweck
berührt wird, führt sie ihre Bewegungen aus, während
unmittelbar daneben die rechtwinklige Tischplatte
oder die senkrechte Schrankfläche mit ihren gerade
abschliessenden Linien mit dem vollen Rechte der
Selbstverständlichkeit auftreten, wo eben nur sie allein
die Aufgabe befriedigend erfüllen können. Ein gutes
Beispiel für die vorurteilslose Verbindung der geraden
und der gekrümmten Flächen und Linien bildet das
bekannte Herrenzimmer von der Münchener Aus-
Hier bestimmte der Schreibtisch, als das
Möbel die Haltung des Zimmers. Darum
die Mitte gerückt. Indem somit die Rück-
das feste Anlehnen an eine Wandfläche
welche neben anderen Rücksichten unseren
die vorwiegend rechtwinklige Gestalt auf-
stellung.
wichtigste
war er in
sieht auf
fortfiel,
Möbeln
gedrängt hat, ergab sich die Möglichkeit, die Grund-
fläche als flache Bogenform zu gestalten. Dadurch
werden die seitlichen Schrankthüren und Fächer dem
Schreibenden, der im Augenblick eine Notiz ver-
gleichen will, bequemer erreichbar, als wenn sie sich
in gerader Richtung von ihm entfernten. Vor allem
aber wird die Gestalt des umfangreichen Möbels, auf
das sich an seinem bevorzugten Standort alle Auf-
merksamkeit konzentriert, durch die Schwingung ge-
fällig gemacht. Sie wird doppelt empfunden, da die
an den Wänden lehnenden Schränke für Mappen und
Akten nach den strikten Anforderungen ihrer Auf-
gabe nur von geraden Linien umschrieben sind und
nur in den Umrahmungen der Glasthüren durch be-
scheiden bewegte Einfassungen eine reichere Lebendig-
keit erhalten, welche die Harmonie mit den Formen
des Schreibtisches herstellt.
Dass er kein besonderer Freund der geraden Linie
sei, bewies van de Velde schon längst durch die
Behandlung der Thür. Manchmal vermeidet er sogar
den senkrechten Abschluss nach den Seiten hin und
ersetzt ihn durch Teile von Kreislinien. Das kann
natürlich nur geschehen, wo der lichte Raum der
Maueröffnung weit genug ist, um eine teilweise Ver-
engung zu ertragen. Für den Privatwohnraum, wo
das nicht zutrifft, wird die Thür seitlich geradlinig
begrenzt und der Rahmen nach oben von vorsichtig
bewegten Schwingungen gekrönt. Bei dieser herr-
schenden Tendenz konnte es auch nicht überraschen,
dass es van de Velde war, der einen Bilderrahmen
aus bewegten Linien statt aus der rechteckigen Leiste
formte, eine Neuerung, welche manche von uns bereits
erwartet und vorhergesagt hatten, während bisher alles,
was von der Schablone abwich, eine Anlehnung an
die Formen des mittelalterlichen Altarrahmens oder
an die des Rokoko darstellte.
Schon aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass
es nicht nur eine einzige Form zu sein braucht, die
der Zweck vorschreibt. Die Thüre und das Fenster
würden z. B. ihre Aufgaben ebenso gut erfüllen, wenn
sie von den banalsten geraden Linien abgeschlossen
wären, als wenn Phantasie dabei verschönernd mit-
wirkte, und so giebt es noch weitere Beweise, dass
die vorhin erwähnten Theorien zu eng gefasst sind,
um auch nur das eigene Schaffen dessen, der sie
formulierte, erschöpfend zu bezeichnen, geschweige,
dass sie für alles Schaffen überhaupt massgebend
wären. Van de Velde selbst giebt z. B. an, dass er
bei einem Mäntelhalter zuerst daran denke, in welcher
Höhe er die Haken zum Aufhängen anbringen wolle.
Danach berechne er dann die Breite der Standfläche
des Möbels und verbinde diese mit dem oberen Ende
durch seitliche Streben, welche sowohl der Festigkeit
zu dienen, wie auch das Hinausbauschen der aufge-
hängten Kleider nach den Seiten zu verhindern hätten.
Beiden Zwecken würden aber auch einfach schräg
gestellte, geradlinige Holzstützen genügen, und wenn
man wollte, könnte man diese Lösung als die logischste
bezeichnen, weil sie den Zweck vollkommen und mit
dem geringsten Kraftaufwand erreichte. Wenn trotz-
dem auch in diesem Falle die energische Schwingung
bevorzugt ist, welche durch ihre Gefälligkeit die Auf-
merksamkeit von dem Zweckdienlichen abzieht, so ist
das ein erneuter Beweis, dass es um Schönheit an
sich zu thun war, und solcher schönen Linien für
diese Stelle würden sich noch mehrere finden lassen,
welche alle die Aufgabe gleich gut erfüllen könnten.
Thatsächlich sind hier die Bewegungsmöglichkeiten
VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI
n *
V».'J<.
im:
—,------------------------,—
Relief in Stein am Haus des Vereins deutscher Ingenieure;
ausgeführt von Professor O. RIEGELMANN, Charlottenburg.
schliesslichkeit überall den Fuss hingesetzt hätte.
Nur wo der Zweck es befiehlt, oder wo kein Zweck
berührt wird, führt sie ihre Bewegungen aus, während
unmittelbar daneben die rechtwinklige Tischplatte
oder die senkrechte Schrankfläche mit ihren gerade
abschliessenden Linien mit dem vollen Rechte der
Selbstverständlichkeit auftreten, wo eben nur sie allein
die Aufgabe befriedigend erfüllen können. Ein gutes
Beispiel für die vorurteilslose Verbindung der geraden
und der gekrümmten Flächen und Linien bildet das
bekannte Herrenzimmer von der Münchener Aus-
Hier bestimmte der Schreibtisch, als das
Möbel die Haltung des Zimmers. Darum
die Mitte gerückt. Indem somit die Rück-
das feste Anlehnen an eine Wandfläche
welche neben anderen Rücksichten unseren
die vorwiegend rechtwinklige Gestalt auf-
stellung.
wichtigste
war er in
sieht auf
fortfiel,
Möbeln
gedrängt hat, ergab sich die Möglichkeit, die Grund-
fläche als flache Bogenform zu gestalten. Dadurch
werden die seitlichen Schrankthüren und Fächer dem
Schreibenden, der im Augenblick eine Notiz ver-
gleichen will, bequemer erreichbar, als wenn sie sich
in gerader Richtung von ihm entfernten. Vor allem
aber wird die Gestalt des umfangreichen Möbels, auf
das sich an seinem bevorzugten Standort alle Auf-
merksamkeit konzentriert, durch die Schwingung ge-
fällig gemacht. Sie wird doppelt empfunden, da die
an den Wänden lehnenden Schränke für Mappen und
Akten nach den strikten Anforderungen ihrer Auf-
gabe nur von geraden Linien umschrieben sind und
nur in den Umrahmungen der Glasthüren durch be-
scheiden bewegte Einfassungen eine reichere Lebendig-
keit erhalten, welche die Harmonie mit den Formen
des Schreibtisches herstellt.
Dass er kein besonderer Freund der geraden Linie
sei, bewies van de Velde schon längst durch die
Behandlung der Thür. Manchmal vermeidet er sogar
den senkrechten Abschluss nach den Seiten hin und
ersetzt ihn durch Teile von Kreislinien. Das kann
natürlich nur geschehen, wo der lichte Raum der
Maueröffnung weit genug ist, um eine teilweise Ver-
engung zu ertragen. Für den Privatwohnraum, wo
das nicht zutrifft, wird die Thür seitlich geradlinig
begrenzt und der Rahmen nach oben von vorsichtig
bewegten Schwingungen gekrönt. Bei dieser herr-
schenden Tendenz konnte es auch nicht überraschen,
dass es van de Velde war, der einen Bilderrahmen
aus bewegten Linien statt aus der rechteckigen Leiste
formte, eine Neuerung, welche manche von uns bereits
erwartet und vorhergesagt hatten, während bisher alles,
was von der Schablone abwich, eine Anlehnung an
die Formen des mittelalterlichen Altarrahmens oder
an die des Rokoko darstellte.
Schon aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass
es nicht nur eine einzige Form zu sein braucht, die
der Zweck vorschreibt. Die Thüre und das Fenster
würden z. B. ihre Aufgaben ebenso gut erfüllen, wenn
sie von den banalsten geraden Linien abgeschlossen
wären, als wenn Phantasie dabei verschönernd mit-
wirkte, und so giebt es noch weitere Beweise, dass
die vorhin erwähnten Theorien zu eng gefasst sind,
um auch nur das eigene Schaffen dessen, der sie
formulierte, erschöpfend zu bezeichnen, geschweige,
dass sie für alles Schaffen überhaupt massgebend
wären. Van de Velde selbst giebt z. B. an, dass er
bei einem Mäntelhalter zuerst daran denke, in welcher
Höhe er die Haken zum Aufhängen anbringen wolle.
Danach berechne er dann die Breite der Standfläche
des Möbels und verbinde diese mit dem oberen Ende
durch seitliche Streben, welche sowohl der Festigkeit
zu dienen, wie auch das Hinausbauschen der aufge-
hängten Kleider nach den Seiten zu verhindern hätten.
Beiden Zwecken würden aber auch einfach schräg
gestellte, geradlinige Holzstützen genügen, und wenn
man wollte, könnte man diese Lösung als die logischste
bezeichnen, weil sie den Zweck vollkommen und mit
dem geringsten Kraftaufwand erreichte. Wenn trotz-
dem auch in diesem Falle die energische Schwingung
bevorzugt ist, welche durch ihre Gefälligkeit die Auf-
merksamkeit von dem Zweckdienlichen abzieht, so ist
das ein erneuter Beweis, dass es um Schönheit an
sich zu thun war, und solcher schönen Linien für
diese Stelle würden sich noch mehrere finden lassen,
welche alle die Aufgabe gleich gut erfüllen könnten.
Thatsächlich sind hier die Bewegungsmöglichkeiten