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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Plehn, Anna L.: Van de Velde und die Berliner Tischlerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0200

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VAN DE VELDE UND DIE BERLINER TISCHLEREI

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Pfeiler von der dekorativen Frontarchitektur des Lichthofes der

deutschen kunstgewerblichen Abteilung auf der Weltausstellung

in Paris 1900. Architekt Professor K. HOFFACKER, Berlin.

Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 10.

für die Phantasie durchaus nicht eng begrenzt, und
van de Velde's Praxis beweist, dass er Veränderungen
findet und auch bewusst danach strebt, ohne dass
darum die erste weniger logisch und zweckdienlich
wäre als die folgenden Lösungen.

Wenn es demnach auch nicht nur eine zweck-
mässige und darum nur eine schöne Form giebt,
so liegt doch die Bedeutung dieses Künstlers un-
zweifelhaft, wie er auch selbst richtig empfindet, gerade
für unsere Zeit darin, dass er im Gegensatz zu
manchen deutschen Künstler-Handwerkern die Schön-
heit nie ausserhalb des Zweckmässigen sucht. Darum
kann sein Beispiel für uns wichtig werden, und es
ist freudig zu begrüssen, dass seit Begründung der
Gesellschaft in Berlin, die seinen Namen trägt, seine
Arbeiten häufiger bei uns erscheinen werden. Das
erste Werk dieser Gesellschaft in der Reichshauptstadt
ist die Ladeneinrichtung der Continental - Havanna-
Compagnie in der Mohrenstrasse, welche vom ersten
bis zum letzten Stück den Plänen des Belgiers ent-
stammt. Diese Räume, welche stets dem grossen
Verkehr offen stehen, werden wirksamer als das, was
sich bisher in Ausstellungen begrenzten Gesellschafts-
klassen zeigte, dazu beitragen, die Augen der grossen
Masse an die zweckmässige Schönheit zu gewöhnen.
Viele werden dort einsehen lernen, dass die Ge-
fälligkeit eines Geräts nicht in dem äusserlich an-
gehefteten Schmuck liegt. Denn wenn es immer zu
den charakteristischen Eigenschaften dieses Künstlers
gehörte, dass er mit ganz wenigen Ornamenten aus-
kam, und dass diese sich nur als bescheidene Er-
weiterungen der notwendigen Biegungen seiner
Konstruktionsformen darstellten, So ist in diesem
Räume, der mit seinen rings die Wände umstellenden
Repositorien von der Menge der Waren reichlich
ausgefüllt ist, absichtlich jedes schmückende Ornament
vermieden. Nur an dem obersten Teil der Wände
füllt ein schablonierter Fries die leere Fläche und
Thür und Fenster zeigen in ihren Kunstverglasungen
farbige Ornamente. Es giebt einen Unterschied der
Gesetze für die Gestaltung eines dem nüchternen
Geschäft dienenden Raumes einerseits und anderer-
seits einer Halle, welche dem heiter festlichen Aufbau
von Kunstwerken dienen soll. In dem Laden der
Mohrenstrasse rings bescheidene Zurückhaltung in der
Linienführung und knappe Behandlung des Materials,
das sich jeder entbehrlichen Biegung enthält. In der
Verkaufshalle des Kunstsalons Keller & Reiner da-
gegen , wo reichlicher Platz vorhanden ist, und
die Aufstellung vielfacher Ziergegenstände zum Ver-
weilen und beschaulichen Geniessen einladet, findet
sich eine vornehm repräsentierende Fülle der Formen,
die, über das Notwendige hinausgehend, Auge und
Phantasie beschäftigen und sich doch streng logischen
Gesetzen unterordnen.

Merkwürdigerweise hat gerade die Sachlichkeit
und Zurückhaltung van de Velde's sogar in der
Fachpresse Äusserungen des Widerspruchs erfahren.
Man vermisst an ihm die Phanfasie, giebt zu, dass
seine »ungeheure Vernünftigkeit und überwältigende
Logik« dem Norddeutschen zwar imponieren müsse,

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