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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Hagen, L.: Die deutsche Smyrnateppich-Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0215

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DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH-INDUSTRIE

Entwurf zu einer Kanne, von R. OREANS, Karlsruhe.

zusehen, der etwa aus den fünfziger Jahren unseres
Jahrhunderts stammt, um zu begreifen, wie die
grosse Unsicherheit des Geschmacks gerade auf dem
Gebiete des Teppichs zu stände kam. Brüllende Lö-
wen, plastisch abschattierte Blumenkränze, schwellende
Rokoko-Ornamente und andere mehr sind auf diesen
Teppichen keine Seltenheiten. Seitdem hat man nun
wohl die Teppichfabrikanten und auch einen Teil
des Publikums darüber belehrt, dass ein Teppich-
lnuster nicht erhaben erscheinen darf. Immerhin sind
die Teppiche aus der eben erwähnten Zeit von solcher
Dauerhaftigkeit, dass sie wenigstens in Grossmutter-
stübchen noch nicht aufgehört haben, ihren Einfluss
auszuüben — auf die empfänglichen Gemüter der
Kinder, deren schönste Erinnerungen meistens mit
so einem Grossmutterstübchen verwachsen sind.

Natürlich wird die glückliche Braut, die bei der
Beschaffung des Hausrates für ihr eigenes Heim alles
Neueste wählt, in Bezug auf einen Teppich nur in
den seltensten Fällen ausgeprägtes Stilgefühl besitzen.
Ihre Mutter hat vor sechs oder sieben Jahren, als die
Familie eine grössere Wohnung bezog, eine Rokoko-
Einrichtung für den Salon angeschafft. Dazu kaufte
sie pflichtschuldigst einen Rokokoteppich, denn auch
die Stuckornamente der Zimmerdecke waren ja im

Rokokostil gehalten; Putten oder Nixen aus Stuck
trieben da oben in den Medaillons zwischen den
gebrochenen Muschelformen ihr Unwesen, oder, wenn
der Hausbesitzer weniger hochherrschaftlich ist, lächelt
eine Landschaft mit winterlich rutenförmigen Bäumen
oder sonst eine logische Unmöglichkeit »von oben
herab« aus den Eckfiguren der Deckenornamente.
Wenn nun die Mutter glaubte, ihr Zimmer »stilvoll«
eingerichtet zu haben, indem sie zu der Rokokodecke
und Rokokotapete einen Rokokoteppich fertigen Hess,
so darf man sich nicht darüber wundern, dass die
Tochter zu den »englischen« Möbeln, dem englischen
Wandfries und der englischen Tapete einen »eng-
lischen« Teppich wählt. Natürlich reichen die Mittel
nicht für einen besonders guten. Wäre das der Fall,
so könnte man sich kaum darüber freuen, denn es
würde nur bedeuten, dass ein schlechtes Muster auf
viele Jahre hinaus einen ungünstigen Einfluss auf das
Schönheitsgefühl der Bewohner ausübt. -

Sehr häufig wird übrigens die angehende junge
Hausfrau des deutschen Mittelstandes den grossblumigen
modern englischen Teppich unpraktisch finden, weil
er sehr bald fleckig wird. Nun kommen natürlich die
orientalischen Teppiche in Frage. In sehr wohlhaben-
den Häusern lässt man wohl einen Teppich direkt
aus Konstantinopel oder Smyrna kommen. Gewöhn-
lich aber wird eines jener wenig lobenswerten deutschen
Erzeugnisse genommen, die in harten, höchst unsym-
pathischen braunroten, grünlichen und gräulichen Far-
ben gehalten sind, welche als Ausfluss des ersten An-
stosses zur Benutzung des Renaissancestils in der
modernen deutschen Mittelstandswohnung hängen
geblieben sind. Diese farblosen, teils künstlich ver-
schossenen, teils unreinen Farben stehen noch heute
der Verbreitung einer munteren Farbenfreudigkeit im
deutschen Hause hindernd im Wege. Allein, wer einige
im wirklichen Leben wurzelnde Bekanntschaft mit den
breiten Schichten des deutschen Mittelstandes besitzt,
wird vollauf verstehen, dass man weder durch die Ein-
führung orientalischer Teppiche, noch auch durch Be-
vorzugung solcher im »Jugendstil« in eben diesen
Kreisen eine Geschmacksverbesserung erzielen wird.
Die solide Hausfrau aus der Masse des kauffähigen
Publikums sperrt sich schlankweg gegen die Be-
nutzung eines Teppichs im Jugendstil. Ihr gesundes
Gefühl sagt ihr, dass diese Dinge auf das Empfindungs-
leben einer schöngeistigen Gesellschaftsschicht gestimmt
sind, deren Nerven reizbedürftig oder auch wider-
standsfähig genug sind, um sich in einer Wohnung
wohl zu fühlen, deren Einrichtung jede Beziehung
zum traditionellen Arbeits- und Familienleben der Masse
des deutschen Volkes abgebrochen hat. Diese modernen
Einrichtungen im Spielzeugstil taugen für Leute, die
alle fünf Jahre ihre Wohnung frisch einrichten können.
Ein Dekorateur, dem daran liegt, sich seine Mittel-
standskundschaft zu erhalten, wird nur seinen reichen
Kundinnen den Ankauf von Sachen im Jugendstil
empfehlen. Seine Erfahrung auf diesem Gebiete reicht
schon jetzt hin, um zu bestätigen, dass selbst die
besten Sachen von Walter Crane oder H. Obrist
ausserordentlich schnell Überdruss erwecken. Eben
 
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