DIE DEUTSCHE SMYRNATEPPICH - INDUSTRIE
209
in wolilgesetzten
Worten, sondern
durch einen ge-
wissen Eigensinn
bei der Auswahl
— eine bestimmte
innere Verwandt-
schaft der Mass-
verhältnisse aller
Gegenstände in
ein und demselben
Raum. Sie fordert
ferner, dass die einzelnen
Ornamente, die zur Ver-
wendung kommen, auf glei-
cher Höhe der zeichneri-
schen Technik stehen. Der
Sinn für die Reize des
Naiven und Unbeholfenen
in morgenländischen Tep-
pichen geht ihr ab. Sie
empfindet dies Naive wie
etwas Unfertiges, Ordnungs-
widriges in der Kultur Zu-
rückgebliebenes. Schon darum lehnt sie sich gegen den
morgenländischen Teppich auf. Ferner leuchtet es ihr
nicht ein, weshalb man einen langen schmalen Teppich in
ein quadratisches Zimmer hineinlegen soll. Sie wird
allenfalls zugeben, dass ein sehr grosser Künstler dies
schwierige Problem so lösen kann, dass eine ästhetische
Wirkung erzielt wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach
wird aber der Künstler den Teppich so legen, dass
er täglich Anlass zu irgend einem Unglücksfall giebt.
Überdies hat Vittore Carpaccio, dieser phänomenale
Meister der schönen Abmessungen, in dem einzigen
Briefe, der uns von ihm erhalten ist, ausgesprochen,
dass man durchaus nicht alle Massverhältnisse will-
kürlich bezwingen kann. Das Oefühl der deutschen
Frau ist also in diesem Punkte ganz richtig. Sie
empfindet z. B., dass der Rhythmus einer recht eng-
lischen Tapete nicht auf den Rhythmus des deutschen
Fenster- und Thürformates gestimmt ist. Aussprechen
wird sie das selten, aber da, wo man ihr freie Hand
lässt, wird sie unwillkürlich nach einer Tapete von
Josef Rösl greifen, so gut ihr auch die
englischen Muster gefallen mögen.
Auch in Bezug auf die Farbenstellung
hat die deutsche Frau ihr eigenes Em-
pfinden - - immer vorausgesetzt, dass sie ,
sich nicht blindlings von der Autorität der ^gk
Mode ins Schlepptau nehmen lässt. Und
selbst diese Mode wird trotz aller schwan-
kenden äusseren Einflüsse von einem inneren
Gesetze der Fortentwicklung beherrscht,
das sich unbewusst immer wieder Geltung
verschafft. Wäre das nicht so, so hätte
niemals eine Knüpfteppich - Industrie in
Deutschland heimisch werden können. Es
ist sehr viel darüber theoretisiert worden,
welche Farbentöne sich für Teppiche am
besten eignen. Immer wieder haben sich
Kunstgewerbeblatt. N. F. XI. H. 11.
feinsinnige Schön-
heitslehrer für den
morgenländischcn
Teppich entschie-
den. Der brutale
Instinkt des deut-
schen Volksge-
schmacks hat sich
ebenso oft aber
wieder dagegen
aufgelehnt. Der
Deutsche verlangt,
dass sich eine Farbe der
anderen in Anlehnung an
den Geist der Zeichnung
unterordne er fordert
Subordination, Schattierung
und Harmonie. Das Mor-
genland arbeitet wie
schon G. Semper nach-
wies - mit Kontrastwir-
kung durch Nebenein-
anderstellung von Farben
gleicher Intensität, gleichen
Gewichtes.
Diese letzte Forderung des deutschen Volksge-
schmackes ist es auch, die uns schliesslich zu gesunden
Anfängen einer im vollsten Sinne des Wortes deutschen
Teppich-Industrie verholfen hat. Die Ironie des Schick-
sals will freilich, dass der Hauptmarkt für diese Er-
zeugnisse noch im Auslande gesucht werden muss.
Da besonders die Vereinigten deutschen Smyrna-
teppich - Fabriken den Sonderansprüchen der ver-
schiedensten Länder Rechnung tragen müssen, so
ist natürlich der Charakter der Zeichnung schwan-
kend und die speziell deutsche Musterproduktion ge-
ring. Gerade das aber, was an eigentlich deutschen
Mustern vorhanden ist, vereint so sehr die Eigenschaf-
Füllungen vom Treppengeländer der Diele
auf der deutschen kunstgewerblichen
Abteilung der Weltausstellung in Paris igoo.
Holzschnitzerei von
Professor G. RIEGELMANN, Charlottenburg.
(s S. 189 des lfd. Jahrg.)
32