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KLEINE MITTEILUNGEN
Japanische Färbeschablonen. Hundert Muster
kleineren Formates. In Originalgrösse herausge-
geben und mit einer Einleitung versehen von Artur
Seemann. Leipzig und Berlin, Verlag von E. A.
Seemann. Preis in Mappe 20 Mark.
Die Kunst Japans birgt reiche Schätze; das zeigt
sich nirgends deutlicher, als in den Flachmustern des
japanischen Volkes. Hier offenbart sich ein ausge-
prägt feiner Raumsinn, und zwar ebenso für Sym-
metrie wie für das Ebenmass, das Gleichgewicht der
Dekorationselemente mit dem Grunde. Die symmetri-
sche Anordnung linearer, pflanzlicher und tierischer
Gebilde ist dem Japaner ein Leichtes; auch versteht
er virtuos zu stilisieren und das Naturprodukt immer
weiter umzubilden, so dass durch diese Manier, wenn
sie bis zur äussersten Konsequenz getrieben wird,
die Urform des Vorbildes in Linien- oder Punkt-
gewirre aufgelöst werden kann, die kaum noch das
zu Grunde liegende Motiv erkennen lässt. Diese
Überbildungen sind als Auswüchse bizarrer dekora-
tiver Laune nicht selten angewandt, und etwa anzu-
sehen wie zeichnerische Begriffswitze. Im allgemeinen
sind in den guten Erzeugnissen die natürlichen Ge-
bilde in ihrer struktiven Erscheinung ausserordentlich
treu wiedergegeben, und ihre geschickte Verwendung
zur Belebung von Flächen (Stoffe) zeigt den Japaner
als Meister des Gleichgewichtsgefühls. Scheinbar
regellos ausgestreut, sind diese Motive so in den
Raum gezeichnet, dass keine schwachen Stellen im
fortlaufenden Muster erscheinen. Hier können alle
Tapeten- und Teppichzeichner lernen: nicht durch
Kopieren und Übertragen, sondern durch oft wieder-
holte Betrachtung, durch Abwägen mit dem Auge.
Die japanischen Papierschablonen, welche dazu
dienen, Stoffe mit einem gefärbten Grund zu versehen,
bieten eine unübersehbare Menge des wertvollsten
Materials - nicht zum Nachzeichnen und Pausen,
sondern zur Schulung des Auges, als Anregung, nicht
als Krücke oder Eselsbrücke. Die Muster sind bald
symmetrisch auf einem Netz sich schneidender und
zwar häufiger schiefwinklig als rechtwinklig kreuzender
Linien entwickelt, bald freihändig in das gegebene
Quadrat oder Rechteck komponiert. — Der Schnitt
des Musters in dem zähen Papier erfolgt teils mit
Messern, teils mit Punzen. Bei denjenigen Mustern,
die ohne ein besonderes Hilfsmittel wegen ihrer Weit-
räumigkeit nicht halten würden, wendet der Japaner
ein sinnreiches Verfahren an. Er legt zwei Papier-
blätter zusammen, schneidet alsdann das Muster mit
dem Messer aus und klebt zwischen die beiden aus-
geschnittenen Musterblätter ein Netz von Seidenfäden.
Schon die grosse Zähigkeit des japanischen Papiers
gestattet dem Schablonenschneider weitgehende Frei-
heiten; die Applikation des Seidennetzes1) gestattet
ihm, seine dekorativen Erfindungen fast ohne Rücksicht
auf den Zusammenhalt der Schablone zu entwerfen.
Die Zahl der Papierschablonen ist Legion. Im
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe befinden
sich mehrere Tausend, in Aarau über zehntausend.
Wer eine solche Sammlung auch nur durchblättert,
staunt über den Reichtum der Motive, die Freiheit
1) Von den Verkäufern werden die Seidenfäden, ver-
mutlich um die Schablone interessanter und appetitlicher
zu machen, für Menschenhaare ausgegeben.
Buchverzierungen, gezeichnet von ED. LIESEN, Berlin.
KLEINE MITTEILUNGEN
Japanische Färbeschablonen. Hundert Muster
kleineren Formates. In Originalgrösse herausge-
geben und mit einer Einleitung versehen von Artur
Seemann. Leipzig und Berlin, Verlag von E. A.
Seemann. Preis in Mappe 20 Mark.
Die Kunst Japans birgt reiche Schätze; das zeigt
sich nirgends deutlicher, als in den Flachmustern des
japanischen Volkes. Hier offenbart sich ein ausge-
prägt feiner Raumsinn, und zwar ebenso für Sym-
metrie wie für das Ebenmass, das Gleichgewicht der
Dekorationselemente mit dem Grunde. Die symmetri-
sche Anordnung linearer, pflanzlicher und tierischer
Gebilde ist dem Japaner ein Leichtes; auch versteht
er virtuos zu stilisieren und das Naturprodukt immer
weiter umzubilden, so dass durch diese Manier, wenn
sie bis zur äussersten Konsequenz getrieben wird,
die Urform des Vorbildes in Linien- oder Punkt-
gewirre aufgelöst werden kann, die kaum noch das
zu Grunde liegende Motiv erkennen lässt. Diese
Überbildungen sind als Auswüchse bizarrer dekora-
tiver Laune nicht selten angewandt, und etwa anzu-
sehen wie zeichnerische Begriffswitze. Im allgemeinen
sind in den guten Erzeugnissen die natürlichen Ge-
bilde in ihrer struktiven Erscheinung ausserordentlich
treu wiedergegeben, und ihre geschickte Verwendung
zur Belebung von Flächen (Stoffe) zeigt den Japaner
als Meister des Gleichgewichtsgefühls. Scheinbar
regellos ausgestreut, sind diese Motive so in den
Raum gezeichnet, dass keine schwachen Stellen im
fortlaufenden Muster erscheinen. Hier können alle
Tapeten- und Teppichzeichner lernen: nicht durch
Kopieren und Übertragen, sondern durch oft wieder-
holte Betrachtung, durch Abwägen mit dem Auge.
Die japanischen Papierschablonen, welche dazu
dienen, Stoffe mit einem gefärbten Grund zu versehen,
bieten eine unübersehbare Menge des wertvollsten
Materials - nicht zum Nachzeichnen und Pausen,
sondern zur Schulung des Auges, als Anregung, nicht
als Krücke oder Eselsbrücke. Die Muster sind bald
symmetrisch auf einem Netz sich schneidender und
zwar häufiger schiefwinklig als rechtwinklig kreuzender
Linien entwickelt, bald freihändig in das gegebene
Quadrat oder Rechteck komponiert. — Der Schnitt
des Musters in dem zähen Papier erfolgt teils mit
Messern, teils mit Punzen. Bei denjenigen Mustern,
die ohne ein besonderes Hilfsmittel wegen ihrer Weit-
räumigkeit nicht halten würden, wendet der Japaner
ein sinnreiches Verfahren an. Er legt zwei Papier-
blätter zusammen, schneidet alsdann das Muster mit
dem Messer aus und klebt zwischen die beiden aus-
geschnittenen Musterblätter ein Netz von Seidenfäden.
Schon die grosse Zähigkeit des japanischen Papiers
gestattet dem Schablonenschneider weitgehende Frei-
heiten; die Applikation des Seidennetzes1) gestattet
ihm, seine dekorativen Erfindungen fast ohne Rücksicht
auf den Zusammenhalt der Schablone zu entwerfen.
Die Zahl der Papierschablonen ist Legion. Im
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe befinden
sich mehrere Tausend, in Aarau über zehntausend.
Wer eine solche Sammlung auch nur durchblättert,
staunt über den Reichtum der Motive, die Freiheit
1) Von den Verkäufern werden die Seidenfäden, ver-
mutlich um die Schablone interessanter und appetitlicher
zu machen, für Menschenhaare ausgegeben.
Buchverzierungen, gezeichnet von ED. LIESEN, Berlin.