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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0028

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

erzeugt, eine bessere und auch auf die Länge der Zeit in
Wahrheit billigere Bedarfsdeckung, als die momentan bil-
ligeren, aber weit weniger haltbaren Produkte der Fabrik-
industrie. Andererseits, wenn über den eigenen Bedarf
hinaus in der bäuerlichen Wirtschaft ausgeübt, wird sie
eine wichtige Form des Nebenerwerbs, der »Arbeitsver-
einigung«, für die ländliche Bevölkerung und damit auch
zugleich ein Mittel, der übermäßigen Landflucht der Gegen-
wart zu steuern oder sie doch aufzuhalten, — wobei wir aller-
dings auch nicht verkennen dürfen, daß sie manchmal eine
wünschenswerte Abwanderung aus zu armen Gebirgs-
gegenden verhindert und dadurch traurige Existenzverhält-
nisse geschaffen hat. Dies ist die wirtschaftliche Bedeu-
tung, welche die Volkskunst heute noch immer für die
Landwirtschaft hat.

Zugleich aber ist die Volkskunst auch für die dennoch
vom Lande Abwandernden eine wichtige Vorschule für
die gewerbliche Arbeit in der Stadt: der in irgend einer
Form der ländlichen Volkskunst oder Hausindustrie tätig
Gewesene ist schon an qualifizierte Arbeit gewöhnt und
wird in der Regel mehr als bloßer Tagelöhner oder Fabrik-
arbeiter in der Stadt werden. Dies ist aber von großer
volkswirtschaftlicher Bedeutung. Denn die Zukunft unserer
Industrie und unserer ganzen Volkswirtschaft liegt zweifel-
los, wie neuerdings so vielfach — namentlich auch von
Naumann — betont wird, in der Schaffung von quali-
fizierter Arbeit: also nicht in der Herstellung von geringen
internationalen Durchschnittswaren, wo uns immer wieder
Länder mit niedrigeren Arbeitslöhnen und anspruchsloseren
Arbeitern schlagen können, sondern in der nationalen
Spezialisierung auf hochqualifizierte gewerbliche Arbeit.
Dies ist die große Bedeutung der Volk>kunst für die mo-
derne Industrie und die ganze Volkswirtschaft.

Dazu kommt endlich noch ihre spezielle Bedeutung für
das moderne Kunstgewerbe. Auf den inneren Zusammen-
hang der Volkskunst mit diesem wurde oben schon hin-
gewiesen: Zweckmäßigkeit des Gebrauchsgegenstandes,
Unterordnung der Verzierung unter
diese ist ein Hauptgrundsatz der Volks-
kunst ebenso wie des modernen Kunst-
gewerbes. Da/u kommt bei ersterer
weiter die Naivität des Schaffens und
die Farbenfreudigkeit, beides auch
Momente, die das Kunstgewerbe zu ver-
jüngen geeignet sind. Weniger finden
wir dagegen freilich bei der Volkskunst
den modernen Grundsatz der Material-
echtheit': Imitationen, insbesondere städti-
scher Erzeugnisse, in minderwertigem
Material spielen vielmehr bei ihr, nament-
lich n den späteren Jahrhunderten, eine
große Rolle. In der Tat finden wir
denn auch, daß die Volkskunst das
mächtig sich entwickelnde deutsche
Kunstgewerbe bereits auf vielen Gebie-
ten stark beeinflußt hat und in Zukunft
jedenfalls noch weiter stark beeinllussen
wird, und auch damit ist eine große
und wachsende volkswirtschaftliche Be-
deutung der Volkskunst und zugleich
auch die Notwendigkeit ihrer Erhaltung
und soweit als möglich ihrer Wieder-
belebung gegeben. Besonders stark sind
diese Einflüsse bis jetzt auf dem Ge-
biete der Architektur, des Haus- und
namentlich des Kirchenbaues auf dem
Lande, der Möbelherstellung und der
keramischen Industrie.

HOLZKRUG MIT ZINNFUSS U. ZINNDECKEL
Rotbraun gestrichen, mit Malerei in Gelb,
Schwarz und Rotbraun. Einerseits das kur-
sächsische Wappen, andererseits die Gestalt
der Fortuna Im Stile des älteren Cranarh. Auf
der Schulter die Buchstaben VDMI E (Ver-
buni Dornini Manet In Etermim). Auf dem
Deckel graviert Schwerler und Rautenwappen.
Sachsen, um 1520. Höhe 37 cm

Aber gerade auf letzterem Gebiete sehen wir auch, daß das
Ergebnis dieser gegenseitigen Berührung zum Teil für die
Volkskunst selbst verhängnisvoll werden kann, indem sie
ihre Eigenartigkeit namentlich in bezug auf Farbenfreudig-
keit dabei einbüßt. Markante Beispiele dafür sind die
Kannenbäckerindustrie des Westerwaldes und die alten
Bauerntöpfereien in Bürgel bei Jena. »Eine schöne alte
Kunsttradition« — schreibt ein Berichterstatter über die
Kunstgewerbeausstellung1) — »die sich hier bis in die
neuere Zeit erhalten hatte und koloristisch sehr wirksame
Arbeiten zuwege brachte, scheint dadurch (nämlich durch
den harten abstrakten Linienstil von van de Velde) dauernd
vernichtet zu sein.« Der Grund dieser Entwicklung ist
ganz klar: Volkskunst — so sahen wir oben — ist naives
Schaffen, das nicht die Eigenart eines Einzelnen pflegt;
schreibt also ein Künstler und besonders eine so starke
Künstlerindividualität, wie van de Velde oder Peter Behrens,
ihr die Formen vor, so hört sie eben auf, Volkskunst zu sein,
Dieses Beispiel zeigt, mit wie zarter und vorsichtiger Hand
die Pflege und Förderung der Volkskunst betrieben wer-
den muß.

Aber weit wichtiger als diese auf ästhetischem Gebiet
liegenden sind die Gefahren und die Grenzen, die bei
Förderung und Wiederbelebung der Volkskunst in wirt-
schaftlicher Beziehung entgegentreten: sie ist von Haus aus
wie die ganze Produktion in der geschlossenen Hauswirt-
schaft durchaus unkapitalistisch und daher der Kapitalismus
ihr größter Feind. Ursprünglich ist sie ja mehr Neben-
beschäftigung als Nebenerwerb. Anfangs und auch später
— abgesehen vom Landhandwerk — ist sie bis zur etwa-
igen Bildung einer ländlichen Hausindustrie nicht Grund-
lage der Existenz derer, die sie ausüben, und wird daher
auch nicht streng wirtschaftlich betrieben. Sie arbeitet ja
zuerst überhaupt nur für den Eigenbedarf; wenn sie dann
aber darüber hinaus produziert, das heißt wenn sie zur
Hausindustrie geworden ist, verfällt sie sofort der Gefahr
der kapitalistischen Ausbeutung und wird mit ihren billigeren
Löhnen und niedrigeren Ansprüchen
eine gefährliche Konkurrenz der Fabrik-
industrie und eine höchst bedenkliche
soziale Erscheinung. Die großen volks-
wirtschaftlichen Schäden der »Heim-
arbeit«, über welche die Berliner Heim-
arbeitausstellung endlich weiteren Krei-
sen die Augen geöffnet hat, sind so
heute vielfach gerade auf diesem Ge-
biete zu finden: viele aus alter Volks-
kunst hervorgegangene, noch heute in
ländlicher Hausindustrie hergestellten
Erzeugnisse werden zum Teil unter volks-
wirtschaftlich und sozial höchst ungesun-
den Verhältnissen hervorgebracht. Es
sei nur an die Spielwarenindustrie Thü-
ringens, aber auch an die oberbayeri-
sche Schnitzereiindustrie erinnert.

Es ist der große Widerspruch zwischen
Kunst und Wirtschaft, zwischen naivem
Schönheitstrieb und verstandesmäßiger
Berechnung, der auf dem ganzen Gebiete
des Kunstgewerbes jeweils durch Kom-
promisse überbrückt werden muß, wel-
cher sich hier auftut und hier unüber-

l) Dr. Ernst Zimmermann, »Kunst-
handwerk und Kunstindustrie auf der
Dresdener Kunstgewerbeausstellung« in
den »Hamburger Nachrichten« Nr. 621
igoö.
 
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