NIEDERLÄNDISCH-INDISCHE KUNST
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genug ist, um Anweisungen in die volle Vorstel-
lung umzusetzen.
Die Javanen sind nicht das einzige Volk, das
Schattenspielaufführungen kennt. Ganz dieselbe Art
von Puppen kommen beispielsweise auch in Siam
vor. In Berlin kann man auch davon Proben sehen.
Aber dort sind sie realistischer, bewegter. Darum
ergeben sich weniger deutlich sprechende Ansichten.
Das heißt die Linien können sich nicht voll aus-
leben. Es ist nicht diese Schwelgerei des Ausreckens
und Dehnens. Auch sind die Formen plumper, es
scheint eher auf das Lächerliche des Individuums ab-
gesehen, obgleich man darin irren kann. Vielleicht
werden auch diese Erscheinungen von ihrem Publikum
ernst genommen. Doch noch ein charakteristischer
Unterschied. So vielfach durchlöchert auch die java-
nischen Wajangpuppen sind, so bleiben doch
noch bestimmte gesammelte Schwärzen übrig.
Und mir scheint, sie sind obligatorisch, da
doch auch vom Weiß des Schirmes zusam-
menhängende Partien dastehen, ohne daß
Dunkles in sie hineinreicht. Das geringere
Stilgefühl verrät sich an den Figuren aus
Siam auch darin, daß sie sehr viel gleich-
mäßiger von Einschnitten durchbrochen sind.
Mich dünkt, diese Sicherheit der Flecken-
verteilung ist noch nicht überall im neuen
europäischen Buchschmuck so eingebürgert,
um eine Beachtung solcher Vorbilder aus
Ostasien wertlos zu machen. Noch ist die
Gewöhnung an erkennbare Bildwirkung bei
uns so groß, daß oft die Bedeutung des
Ornamentalen, besonders wenn es sich um
menschliche Bildungen handelt, überschätzt
wird und darum die Augen nicht ihr Teil
bekommen. Dunkelsilhouetten sind oft zu
groß und zu leer. Zuweilen zu sehr nach
einer einzigen Stelle geschoben. Dann wie-
der stehen schwarze Linien zu mager im
Weißen. Das Zusammenspiel der beiden
Gegensätze ist nicht voll und reich genug.
Die Schulung am Japanischen hat manchem
geholfen. Ebensogut kann man zu Dürer
gehen, um den Ausgleich zwischen Hell und
Dunkel zu lernen. Aber auch hier steht
vielen das Bildmäßige im Wege. Die ent-
seelten Bildungen der Javanen — für euro-
päische Augen sind sie es wenigstens —
lenken die Aufmerksamkeit auf nichts als
das Ornamentale.
Wir haben es hier mit einem Volk zu tun,
das, wie es scheint, bisher selbst bei der Be-
rührung mit der gefährlichen europäischen
Kultur seine eigene bewahrt hat. Auf die hol-
ländische angewandte Kunst hat das Vorbild
seiner Kolonien sogar schon befruchtend ein-
gewirkt. Nicht nur die Batiktechnik1) wurde
im Mutterlande eingeführt. Hoytemas Wand-
dekorationen, die neuen Porzellane der Fabrik von
Rozenburg zeigen so tonig gestrichelte und punktierte
Ornamente, daß man den Ursprung dieser Neue-
rungen nicht verkennen kann. Für die Industrie, die
gezwungen ist, mit Maschinen zu arbeiten, werden
die mühsamen Techniken unanwendbar sein, mit
denen sich Einzelarbeiter in den Hütten des indischen
Archipels abquälen, um Gegenstände individuellen
Charakters herzustellen. Dort dient nicht nur die
Geduld, mit der unzählige Handgriffe tadellos aus-
geführt werden, der Steigerung des ästhetischen Wertes,
sondern zum selben Ende dient es auch, daß Akku-
ratesse — die immer eintönig wirkt — nicht absolut
gelingen kann. Das können wir nicht nachahmen.
Aber etwas von dem Geist dieses Kunstprinzips, der
Verzicht auf das Prunken mit dem Auffälligen, das
1) Von diesem Dekorationsverfahren wird in
einem folgenden Heft die Rede sein.
Kunstgewerbeblalt. N. F. XVIII. H. 2
B C D
FÜNF PRUNKLANZEN MIT SILBERNEN UND GOLDENEN HÜLSEN UNTER
DER SPITZE. B MIT STILISIERTEM OCHSENKOPF; C MIT GEKRÖNTEM
DRACHEN; D IN FORM EINER GESTRECKTEN ENTE
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genug ist, um Anweisungen in die volle Vorstel-
lung umzusetzen.
Die Javanen sind nicht das einzige Volk, das
Schattenspielaufführungen kennt. Ganz dieselbe Art
von Puppen kommen beispielsweise auch in Siam
vor. In Berlin kann man auch davon Proben sehen.
Aber dort sind sie realistischer, bewegter. Darum
ergeben sich weniger deutlich sprechende Ansichten.
Das heißt die Linien können sich nicht voll aus-
leben. Es ist nicht diese Schwelgerei des Ausreckens
und Dehnens. Auch sind die Formen plumper, es
scheint eher auf das Lächerliche des Individuums ab-
gesehen, obgleich man darin irren kann. Vielleicht
werden auch diese Erscheinungen von ihrem Publikum
ernst genommen. Doch noch ein charakteristischer
Unterschied. So vielfach durchlöchert auch die java-
nischen Wajangpuppen sind, so bleiben doch
noch bestimmte gesammelte Schwärzen übrig.
Und mir scheint, sie sind obligatorisch, da
doch auch vom Weiß des Schirmes zusam-
menhängende Partien dastehen, ohne daß
Dunkles in sie hineinreicht. Das geringere
Stilgefühl verrät sich an den Figuren aus
Siam auch darin, daß sie sehr viel gleich-
mäßiger von Einschnitten durchbrochen sind.
Mich dünkt, diese Sicherheit der Flecken-
verteilung ist noch nicht überall im neuen
europäischen Buchschmuck so eingebürgert,
um eine Beachtung solcher Vorbilder aus
Ostasien wertlos zu machen. Noch ist die
Gewöhnung an erkennbare Bildwirkung bei
uns so groß, daß oft die Bedeutung des
Ornamentalen, besonders wenn es sich um
menschliche Bildungen handelt, überschätzt
wird und darum die Augen nicht ihr Teil
bekommen. Dunkelsilhouetten sind oft zu
groß und zu leer. Zuweilen zu sehr nach
einer einzigen Stelle geschoben. Dann wie-
der stehen schwarze Linien zu mager im
Weißen. Das Zusammenspiel der beiden
Gegensätze ist nicht voll und reich genug.
Die Schulung am Japanischen hat manchem
geholfen. Ebensogut kann man zu Dürer
gehen, um den Ausgleich zwischen Hell und
Dunkel zu lernen. Aber auch hier steht
vielen das Bildmäßige im Wege. Die ent-
seelten Bildungen der Javanen — für euro-
päische Augen sind sie es wenigstens —
lenken die Aufmerksamkeit auf nichts als
das Ornamentale.
Wir haben es hier mit einem Volk zu tun,
das, wie es scheint, bisher selbst bei der Be-
rührung mit der gefährlichen europäischen
Kultur seine eigene bewahrt hat. Auf die hol-
ländische angewandte Kunst hat das Vorbild
seiner Kolonien sogar schon befruchtend ein-
gewirkt. Nicht nur die Batiktechnik1) wurde
im Mutterlande eingeführt. Hoytemas Wand-
dekorationen, die neuen Porzellane der Fabrik von
Rozenburg zeigen so tonig gestrichelte und punktierte
Ornamente, daß man den Ursprung dieser Neue-
rungen nicht verkennen kann. Für die Industrie, die
gezwungen ist, mit Maschinen zu arbeiten, werden
die mühsamen Techniken unanwendbar sein, mit
denen sich Einzelarbeiter in den Hütten des indischen
Archipels abquälen, um Gegenstände individuellen
Charakters herzustellen. Dort dient nicht nur die
Geduld, mit der unzählige Handgriffe tadellos aus-
geführt werden, der Steigerung des ästhetischen Wertes,
sondern zum selben Ende dient es auch, daß Akku-
ratesse — die immer eintönig wirkt — nicht absolut
gelingen kann. Das können wir nicht nachahmen.
Aber etwas von dem Geist dieses Kunstprinzips, der
Verzicht auf das Prunken mit dem Auffälligen, das
1) Von diesem Dekorationsverfahren wird in
einem folgenden Heft die Rede sein.
Kunstgewerbeblalt. N. F. XVIII. H. 2
B C D
FÜNF PRUNKLANZEN MIT SILBERNEN UND GOLDENEN HÜLSEN UNTER
DER SPITZE. B MIT STILISIERTEM OCHSENKOPF; C MIT GEKRÖNTEM
DRACHEN; D IN FORM EINER GESTRECKTEN ENTE