Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

DOI Artikel:
Kurzwelly, Albrecht: Leipziger Kunstgewerbe: zur Einführung: Rückblick und Umschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0054

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
46

LEIPZIGER KUNSTGEWERBE

SCHLAFZIMMER IN POLIERTER BIRKE, ENTWORFEN VOM LEIPZIGER KÜNSTLERBUND

Die Abkehr von der hergebrachten Schablone und
der Aufschwung zu frischerer, neuartiger Auffassung
ließ sich zuerst in den Kreisen der Bildhauer beobachten,
in dem Schaffen Carl Seffners und einiger jüngerer
Talente wie Pfeifer, Hartmann und Sturm. Ihnen
gesellten sich im letzten Jahrzehnt einige durchaus
modern empfindende und modern geschulte jüngere
Maler und Graphiker als Gesinnungsgenossen zu, an
ihrer Spitze Bossert, Brändel, Heroux, Horst-Schulze,
Tiemann und Wustmann. Die Architektur ist hinter
den Schwesterkünsten nicht zurückgeblieben. Große
öffentliche Neubauten wie das Reichsgericht und vor
allem das neue Rathaus, Hugo Lichts gewaltige Schöp-
fung, haben in erster Linie die Bautätigkeit neu be-
lebt und künstlerisch gehoben. Peter Dybwad, Paul
Möbius, Kösser und andere sind am Werke, der Privat-
architektur neue Bahnen zu weisen und sie über den nüch-
tern geschäftsmäßigen Betrieb in die höhere Sphäre wahr-
haft künstlerischen Denkens undStrebens hinauszuheben.

Auch die ehrwürdige Kunstakademie ist von dem
allgemeinen Fortschritt zum zielbewußten Erstreben
zeitgemäßer Ideale erfaßt. Seit einigen Jahren ganz
in den Dienst der buchgewerblichen und graphischen
Techniken gestellt, ist sie von Max Seliger, ihrem
rührigen neuen Leiter, von Grund aus reformiert
und mit den praktischen Anforderungen und den
künstlerischen Tendenzen der Gegenwart in vollen
Einklang gebracht worden, durch die Heranziehung
modern empfindender jüngerer Lehrkräfte ebenso wie
durch die Ausbildung eines neuen Lehrplans.

Kunsthandwerk und Kunstindustrie haben sich in
Leipzig nicht später als anderwärts der Zeitströmung,
dem Streben nach neuen zeitgemäßen Formen und
Farbenstimmungen angeschlossen, aber auch genau
so enthusiastisch wie anderwärts alle jene Verirrungen
und Überschwenglichkeiten in pflanzlichem und linea-
rem Zierat mitgemacht, für die seinerzeit das frag-
würdige Schlagwort »Jugendstil« erfunden wurde.
Selbst bescheidene kunstgewerbliche Betriebe lenkten
hier verhältnismäßig schnell in den neuen Kurs ein.
Das Publikum hat sich ■— wiederum genau so wie
anderwärts — anfangs beinahe übereifrig und blind
der Moderne in die Arme geworfen. Jetzt ist hüben
wie drüben eine gewisse Beruhigung und Klärung
eingetreten. Hier wie dort greift die Freude an echtem
Material, an ruhigen einfachen Formen, sinn- und
maßvoller Verzierung und gediegener Arbeit immer
weiter um sich, im Publikum wenigstens bei den
Gebildeten.

Die Künstler haben vielleicht weniger als ander-
wärts Gelegenheit gefunden, das Handwerk zu be-
einflussen oder unmittelbar mit Entwürfen zu bedienen;
aber sie haben es doch nicht an gutem Willen fehlen
lassen, Versuche nach dieser Seite hin zu machen,
zum Teil mit schönem Erfolg, wie die Beteiligung
des Leipziger Künstlerbundes — wir kommen noch
ausführlicher auf ihn zu sprechen — an der dies-
jährigen Dresdener Ausstellung beweist. Bahnbrechende
Taten in dieser Richtung konnten bisher schon des-
halb nicht von der Leipziger Künstlerschaft ausgehen,
 
Annotationen