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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Raspe, Th.: Eine neue Farbennote im Hamburger Strassenbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0138

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EINE NEUE FARBENNOTE IM HAMBURGER STRASSENBILD

ansteigende Bewegung teils von reich ornamentierten
Bögen aufgenommen und fortgepflanzt wird, zum
größten Teil aber in monumental stilisierten Hunde-
gestalten ihren Abschluß findet (s. die Abb.). So bleibt
überall die organische Verbindung gewahrt, die in
der Dachlösung des Messeischen Wertheimhauses so
empfindlich schroff abgebrochen wird. Während die
glasierten Terrakotten der Bekrönung und die Füll-
platten zwischen den obersten Stockwerken an barocke
Formen anklingen, erinnert das Friesornament über
den unteren Geschossen an romanisches Rankenspiel
und an mittelalterliche Tiersymbolik. Die Ausfährung
der Modelle lag in den Händen des Bildhauers Kfihn
in Berlin.

Als einzige Parallele zu diesem ersten Unternehmen,
an dem außer den genannten Architekten auch das
Atelier G. Radel beteiligt war, kommt das im Jahre
igoö vollendete Geschäftshaus Gertig (Gr. Burstah)
in Betracht. Es darf aber nicht vergessen werden,
daß die Bauten der Zwischenzeit den Architekten eine
reiche Ernte von Erfahrungen einbrachten, die nun-
mehr ausgiebig verwertet werden konnten. Der Ab-
stand vom Reubertschen Hause ist daher in mehr-
facher Hinsicht interessant.

Hatte man sich damals noch mit Rücksicht auf
das Publikum einige Beschränkungen auferlegt und
die Absicht, das Straßenbild aufzuhellen, nur zaghaft
durchgeführt, so wagte man jetzt, auf die bisherigen
Erfolge fußend, einen lebhaften, sogar auffallenden
Farbton. Das Himbeerrot von etwas gefährlicher
Kühnheit läßt die wenigen grünen Abschattierungen
und Reliefs kaum mitsprechen und besitzt bei seinem
fast anmaßenden Charakter nicht den gleichen ange-
nehmen Einfluß auf das Einerlei der Geschäftsgegend
wie früher angewandte Glasurfarben.

Im guten Sinne ist es aber ein Symptom für das
Gefühl der Sicherheit, das die Architekten beim Ent-
wurf im Gegensatz zu ihrem ersten Wagnis beherrscht
hat. Fast alle Schwächen und Fehler, unter denen
das Reubertsche Geschäftshaus leidet, sind hier glück-
lich vermieden. Haben wir dort einen Riesen vor
uns, der auf schwachen Füßen steht und durch seine
eigene Haltlosigkeit gezwungen wird, alle von ihm
abhängigen Nachbarn in Stich zu lassen, so ragt der
Gertigsche Bau als trotziger Eckpfeiler aus dem Ge-
woge des Verkehrs empor. Deutlich treten in ihm
die durchlaufenden Hauptpfeiler als Gerippe des
mächtigen Körpers hervor, der trotz der Teilung in
Kontor- und Schaufenster die Einheit bewahrt. Diese
Geschlossenheit und Kraft findet nicht nur in der
klaren Gliederung ihre Erklärung, sondern beruht
hauptsächlich auf der geschickten Benutzung eines
einfachen Hilfsmittels. Während die Eckbildung am
Reubertschen Hause nur durch den Turm und eine
unbedeutende Variation im Mittelfriese vor dem Ge-
samtbau ausgezeichnet wird, ist hier eine unverhüllte
Dreiteilung - genauer Fünfteilung — vorgenommen,
durch die der Kopfbau als ausschlaggebender Faktor
im Straßenbilde eine beherrschende Stellung erhält.
Ohne Verschiebung der Horizontallinien ist doch
durch Veränderung der Fenster, durch den Balkon

und durch die Dachbildung der Führerrolle des
Mittelbaus weiterhin Ausdruck gegeben worden. Aber
erst dadurch, daß die Kontorfenster hier um ein
Stockwerk tiefer als in den Flügelbauten gehen, ver-
legt das Auge den Schwerpunkt an die Ecke und
fühlt sich durch den Ausgleich von Verantwortung
und Entlastung befriedigt. Endlich ist noch im wohl-
tuenden Gegensatz zum Hause Reubert die Kräftigung
der Pfeiler durch »Einschuhung«, das heißt durch
Veränderung der Farbe an der Wurzel, zu bemerken.
Von dem bewährten Reliefschmuck ist in sehr ge-
schmackvoller Weise Gebrauch gemacht worden, in-
dem man ihn, dem vornehmen Charakter des Ge-
bäudes entsprechend, in mehr anmutige Formen
kleidete und den Baugliedern unterordnete. Spricht
aus der zweckmäßigen Anordnung der Gebäudeteile,
ihrer klaren Durchbildung und einer besonnenen Ver-
wendung von Terrakotten der durch Erfahrungen
geläuterte Kunstsinn und die ernste theoretische Vor-
arbeit der beteiligten Architekten (Frejtag und G. Radel),
so beweist das Bauwerk als Ganzes die Vielseitigkeit
ihrer Phantasie, die ganz auffällig ein Anknüpfen an
das Reubertsche Haus und die Gefahr, ein Schema
innerhalb ihrer Hamburger Geschäftsbauten heraus-
zubilden, vermeidet. Unbefriedigend, wenn auch nicht
geradezu störend, wirkt allein das Dach, dessen Über-
gangsstufen von den Flügelbauten zum Eckkörper
mehr einem gezwungenen Kompromiß als einer end-
gültigen Lösung ähnlich sehen.

Was die Eckbauten an Rücksichtnahme auf eigene
Ausgestaltung und auf ihre einflußreiche Stellung im
Straßenbilde erfordern, bedeutet eine Summe von
Schwierigkeiten, die bei den Fassadenhäusern nur
noch vereinzelt in Betracht kommen. Die ganze
Kraft kann hier auf ein zeitgemäßes wirkungsvolles
Äußere verwendet werden, das zugleich die Be-
stimmung der Bauten klar zum Ausdruck kommen
läßt. Die Architekturformen, die uns der Eisenstil
schenkte, wurden daher auch maßgebend für sämtliche
Fassadenbauten, deren Ausführung nach dem Tode
Wurzbachs allein in der Hand des Architekten Frej-
tag lag.

Niemals wieder brachte die Farbe der Kunstglasur-
steine einen so erfrischenden Ton in die Umgebung,
wie es am Mause Pingon dank einer Besiebung mit
weißer Emaille gelang. Mit dem zarten bläulichen
Schimmer, der auf den Pfeilern ruht, verbindet sich
die bescheiden zurücktretende Kupferglasur der Terra-
kotten zu wunderbarer Harmonie, die jene unver-
meidliche Zweiteilung des Gebäudes in Kaufläden
und Kontorräume für einen Augenblick vergessen
läßt. Wer einmal zufällig die Sonnenstrahlen am
obersten Stockwerk entlang gleiten sah, wird neben
dem erhöhten Zauber dieses Stimmungsbildes noch
die ausdrucksvolle Schönheit der Frauenmasken emp-
finden und diesen beinahe einzigen Schmuck um so
besser würdigen lernen.

Ein solcher Erfolg wirft auch auf das erste Unter-
nehmen der beiden Architekten einen Lichtstrahl, da
es dazu Grundlage und Anregung gab.

Vom baukünstlerischen Standpunkt aus beurteilt,
 
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