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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Berlage, H. P.: Baukunst und Kleinkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0192

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184

BAUKUNST UND KLEINKUNST

die Campagna; aber wie wäre sie geworden, wenn
zwischen diese Arkaden Pilaster gestellt wären?

Und schließlich würde das Kolosseum wahrschein-
lich viel größer und deswegen viel erhabener ausge-
schaut haben, wenn diese Riesenwand nicht wieder
gegliedert wäre durch die angeklebten Säulenord-
nungen. Das läßt sich sogar schon beobachten an
den beschädigten Teilen. Es handelt sich hier, wie
gesagt, um ein Prinzip, aber weil das Prinzip falsch
ist, so konnte daraus zwar eine praktische und ge-
fällige, aber keine vollkommene Architektur wachsen.

Es ist mir wirklich unbegreiflich, daß ein so fein-
sinniger Architekt wie Gottfried Semper, der doch
wohl Verständnis hatte für die Grundsätze einer folge-
richtigen Konstruktion, und in seiner Stillehre vom
Anfang bis zu Ende nur dies zu betonen bezweckt,
diese Folgerichtigkeit, diese Logik in der Architektur
nicht gezogen hat. Im Gegenteil: er verteidigt sogar
die auf vier Ecksäulen gestützte römische Gewölbe-
konstruktion, welche Säulen mit dem zugehörigen
Gebälkstück gegen die Mauer stellt, ohne den leise-
sten Versuch, eine organische Gliederung zwischen
beiden zu bilden, mit der Behauptung, daß die Wand
nicht dazu da sei, das Dach zu tragen, sondern nur
zum Raumabschluß diene.

Nun kann man diese Behauptung gelten lassen,
aber dann soll auch gezeigt werden, daß immer wieder
die fälschlich angewandte Säulenstellung die Schuld
traf, und eine viel stilgerechtere Lösung zu erzielen
ist, wie die mittelalterliche Kunst z. B. zeigt. Aber
Semper redet nur in den verächtlichsten Ausdrücken
über die mittelalterliche Kunst, welche ihm nur ein
»starres System« ist.

Und wie kommt erst das Kapitell, womöglich
das korinthische, bei der ganzen Sache weg? Es ist
wirklich unglaublich, wie die ganze römische Kunst
bei einer solchen, absolut unkünstlerischen Lösung
beharren konnte; denn zerschneiden ist keine Lösung.

Zwar fällt hier schon die Schuld sogar auf die
Griechen; denn das Prototyp des ganzen korinthischen
Stils ist das Lysikrates-Monument zu Athen.

Es ist daher nicht zu viel gesagt, wenn wir den
korinthischen Stil als nicht spezifisch griechisch be-
zeichnen. Und nun erst die Renaissance! Muthesius,
in seiner schönen Schrift »Stilarchitektur und Bau-
kunst«, sagt: Es kam die Zeit, da die antike Welt,
deren Geist auch nach ihrem körperlichen Untergange
in mächtiger Größe fortlebte, neue künstlerische Ideale
über den Norden brachte. Die Zeit des Humanismus
in den Geisteswissenschaften, der Renaissance in den
Künsten, trat ihre Herrschaft an, und führte eine Blüte-
zeit der Künste herauf, die sich bezeichnenderweise
besonders in der Malerei und Skulptur zeigte. In
der Architektur war sie durchaus nicht in gleichem
Maße vorhanden; konnten damals in der Malerei, und
in gewissem Sinne auch in der Bildhauerkunst, die
neuen Einflüsse auf Vorhandenes einwirken, ein vor-
liegendes Frühalter zur Reife bringen, so wurde in
der Architektur mit einer vollentwickelten Kunst barsch
gebrochen, eine reichentfaltete Kunstüberlieferung in
die Ecke geworfen. Was man dafür als Renaissance-

kunst erreichte, konnte doch nur ein blasses Abbild
einer besseren Originalkunst sein, worüber jeder Italien-
reisende klar sein wird, wenn er bemerkt, wie ein
einziges antikes Bauwerk, etwa das Kolosseum oder
das Pantheon in Rom, die ganze Renaissancebaukunst
in den Schatten stellt. So ist es: barsch gebrochen
mit der mittelalterlichen Kunst, mit derjenigen, welche
für die moderne, was die griechische Kunst für das
Altertum war. Mit der Herrschaft der Renaissance
kam nun der prinzipielle Fehler in noch viel schlimme-
rer Weise als wie damals zum Vorschein. Von einem
Benedetto da Majano an, der zuerst an der Kanzel
in Sta. Croce zu Florenz Säulen stellte, bis zu einem
Fontana, also während vier Jahrhunderten, hat die
Architektur sich diesen Fehler zu schulden kommen
lassen. Denn dieser Fehler, dieser Sündenfall, war
Ursache, daß Malerei und Skulptur sich von der Archi-
tektur getrennt haben: denn durch ihn gab die Renais-
sance zu verstehen, ein Stil zu sein, bei dem nicht
mehr die Baukunst die Herrschaft führen sollte; denn
indem sie die Dekoration in den Vordergrund schob,
fing sie an, selber zu dekorieren, und hatte dabei die
Hilfe der anderen Künste nicht mehr nötig.

Wenn einmal, wie gesagt, das Prinzip nicht ein-
gehalten ist, tritt sofort auch die Schönheitsvernei-
nung ein.

Und in der Tat! in dem Moment, als die italie-
nische Palastarchitektur, wie ein zögernder Versuch,
die ersten Pilaster in die Fassade stellt, erschlafft auf
einmal der Stil, und erst recht, wenn die Pilasterfläche
in möbelartiger Weise mit Ornament in einer Füllung
geziert wird. Dazu kommt die unglückselige Ver-
wendung des ursprünglich offenen Arkadenfensters,
das keine besondere Ausbildung erhält, und daher
immer als solches ganz vernachlässigt erscheint.

Was diese Fenster damals schon, und namentlich
später, in der modernen Stilarchitektur für Unheil ge-
stiftet haben, steht ganz belehrend in Lichtwarks
Schrift: Palastfenster und Flügeltür.

Nun kann der mehr oder weniger gute Ge-
schmack diesen Stilverstoß mildern; aber zu retten ist
der Stil nicht mehr! Die Renaissancekunst ist Sache
des Geschmackes, aber nicht mehr des architektoni-
schen Stiles.

Man vergleiche den Palast Strozzi in Florenz
mit dem Palast Rucellai daselbst oder dem Palast
Giraud in Rom, und sofort fällt dem ersten der Preis
zu, weil er stilgerechter ist, trotzdem eben die beiden
anderen von feinstem Geschmack zeugen. Und jedes-
mal, wenn ein Stockwerk mehr in die Reformierung
einbezogen wird, sinkt die Schönheit. Schließlich
empfinden wir geradezu Widerwillen, wenn gar auch
an das Parterregeschoß die gebräuchliche neue do-
rische Ordnung usw. angeheftet wird.

Es ist diese Abneigung gegen die Zerstückelung
der großen Fläche, welche einen Geist wie Palladio
dazu brachte, die Ordnungen nicht auf die Stock-
werke zu begrenzen, sondern eine Ordnung durch
die ganze Fassadenfläche hinaufzuführen.

Allerdings ein genialer Zug zur Wiedergewinnung
der mächtigen Monumentalität und schließlich die na-
 
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