214 DER WETTBEWERB UM EIN EMPFANGSGEBAUDE DES LEIPZIGER HAUPTBAHNHOFS
losigkeit, die eine solche ungeheuerliche Diskrepanz
von Form und Zweck zustande bringt. Andere haben
die Fassade in ein Konglomerat von Gebäuden und
Gebäudchen zerlegt, die dadurch nicht nur an Monu-
mentalität, sondern auch an Wahrheit einbüßt, weil
dieses malerische Geschiebsel niemals auf die ruhig
und gleichmäßig fortlaufenden Hallen dahinter schließen
läßt. Als Typus für eine solche mit einer Addition
von lauter kleinen Größen operierende Konzeption
mag der Entwurf »Sprich für mich« gelten, der mit
seinen stakigen Doppeltürmen, die mit langem dünnem
Halse weit über das ganze unruhige Gefüge heraus-
blicken, in dieser Beziehung am weitesten geht.
Angesichts solcher im Kern verfehlten Arbeiten
ist es notwendig, sich einmal ernstlich auf die ästhe-
tischen Grundfunktionen zu besinnen, die der archi-
tektonische Teil eines Bahnhofsgebäudes zu leisten
hat. Das Wort »Empfangsgebäude« schließt bereits
die wichtigste Funktion in sich: das Empfangen. Die
Architektur muß also einen einladenden Charaktertragen,
muß als freundlicher Begrüßer den Ankommenden in
sich aufnehmen. Damit ist schon gesagt, daß dieser
vorwiegend rezeptive Charakter namentlich für die Teile
in Betracht kommen wird, die der Ankömmling er-
blickt, wenn er den Bahnhof durchschreitet, also
Querbahnsteighalle und Ausgangshallen, während die
Fassade, der er heraustretend ja den Rücken kehrt,
von Erfüllung dieser Aufgabe zunächst ausgeschlossen
bliebe. Ihre eigentliche ästhetische Funktion, die maß-
gebend werden muß für den Charakter ihrer Formen,
ist die, der Prellbock zu sein für die einmündenden
Züge, sich ihnen als Puffer entgegenzustemmen und
in breit gelagerter Horizontalität die große Gegen-
bewegung gegen die Parallelen der Schienenstränge
und der sie sekundierenden Glashallen zum Ausdruck
zu bringen. Es ist einleuchtend, daß, um diesen Ein-
druck des Prellbockmäßigen hervorzurufen, eine außer-
ordentliche Wucht dem Stein abgewonnen werden
muß. Die Wand muß alle ihre Kräfte zu diesem
Zweck zusammennehmen, darf ihre Masse um keinen
Preis zersplittern, indem sie in fröhlichem dekorativem
Spiel sich ergeht oder Türmchen und Spitzchen in
die Luft sendet, die dem Unterbau seine beste Kraft
nehmen. Man muß ihr die Energie anmerken, mit
der sie sich dem Anprall entgegenwirft, aber auch in
der Harmonie ihrer Formen zugleich den Sieg ahnen,
der ihr zufällt.
Der im Wesen des Programmes liegende Dualis-
mus der Anlage kam der Fassadenausbildung in die-
sem Sinne des Pufferartigen entgegen. Es sind denn
auch nur wenige Entwürfe, die diese Grundbedingung,
einen breit gelagerten Längsbau mit zwei Zentren,
die sich in der Fassade als die Stirnseiten der
beiden Eingangshallen darstellen, zu schaffen nicht
richtig erkannt hätten. Das Programm gab auch für
die Fassade die Verteilung der Hauptakzente an: zwei
dominierende Eingangshallen, die einen langen Mittel-
trakt in sich schließen, der die Wartesäle und einen
zentral untergebrachten Speisesaal im Hauptgeschoß
aufnimmt. Seitlich Dienst- und Wohnräume, deren
Schluß als Eckpfosten noch einmal eine besondere
losigkeit, die eine solche ungeheuerliche Diskrepanz
von Form und Zweck zustande bringt. Andere haben
die Fassade in ein Konglomerat von Gebäuden und
Gebäudchen zerlegt, die dadurch nicht nur an Monu-
mentalität, sondern auch an Wahrheit einbüßt, weil
dieses malerische Geschiebsel niemals auf die ruhig
und gleichmäßig fortlaufenden Hallen dahinter schließen
läßt. Als Typus für eine solche mit einer Addition
von lauter kleinen Größen operierende Konzeption
mag der Entwurf »Sprich für mich« gelten, der mit
seinen stakigen Doppeltürmen, die mit langem dünnem
Halse weit über das ganze unruhige Gefüge heraus-
blicken, in dieser Beziehung am weitesten geht.
Angesichts solcher im Kern verfehlten Arbeiten
ist es notwendig, sich einmal ernstlich auf die ästhe-
tischen Grundfunktionen zu besinnen, die der archi-
tektonische Teil eines Bahnhofsgebäudes zu leisten
hat. Das Wort »Empfangsgebäude« schließt bereits
die wichtigste Funktion in sich: das Empfangen. Die
Architektur muß also einen einladenden Charaktertragen,
muß als freundlicher Begrüßer den Ankommenden in
sich aufnehmen. Damit ist schon gesagt, daß dieser
vorwiegend rezeptive Charakter namentlich für die Teile
in Betracht kommen wird, die der Ankömmling er-
blickt, wenn er den Bahnhof durchschreitet, also
Querbahnsteighalle und Ausgangshallen, während die
Fassade, der er heraustretend ja den Rücken kehrt,
von Erfüllung dieser Aufgabe zunächst ausgeschlossen
bliebe. Ihre eigentliche ästhetische Funktion, die maß-
gebend werden muß für den Charakter ihrer Formen,
ist die, der Prellbock zu sein für die einmündenden
Züge, sich ihnen als Puffer entgegenzustemmen und
in breit gelagerter Horizontalität die große Gegen-
bewegung gegen die Parallelen der Schienenstränge
und der sie sekundierenden Glashallen zum Ausdruck
zu bringen. Es ist einleuchtend, daß, um diesen Ein-
druck des Prellbockmäßigen hervorzurufen, eine außer-
ordentliche Wucht dem Stein abgewonnen werden
muß. Die Wand muß alle ihre Kräfte zu diesem
Zweck zusammennehmen, darf ihre Masse um keinen
Preis zersplittern, indem sie in fröhlichem dekorativem
Spiel sich ergeht oder Türmchen und Spitzchen in
die Luft sendet, die dem Unterbau seine beste Kraft
nehmen. Man muß ihr die Energie anmerken, mit
der sie sich dem Anprall entgegenwirft, aber auch in
der Harmonie ihrer Formen zugleich den Sieg ahnen,
der ihr zufällt.
Der im Wesen des Programmes liegende Dualis-
mus der Anlage kam der Fassadenausbildung in die-
sem Sinne des Pufferartigen entgegen. Es sind denn
auch nur wenige Entwürfe, die diese Grundbedingung,
einen breit gelagerten Längsbau mit zwei Zentren,
die sich in der Fassade als die Stirnseiten der
beiden Eingangshallen darstellen, zu schaffen nicht
richtig erkannt hätten. Das Programm gab auch für
die Fassade die Verteilung der Hauptakzente an: zwei
dominierende Eingangshallen, die einen langen Mittel-
trakt in sich schließen, der die Wartesäle und einen
zentral untergebrachten Speisesaal im Hauptgeschoß
aufnimmt. Seitlich Dienst- und Wohnräume, deren
Schluß als Eckpfosten noch einmal eine besondere