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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Berlage, H. P.: Baukunst und Kleinkunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0250

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242

BAUKUNST UND KLEINKUNST

Und welcher schönen monumentalen Entfaltung
sie fähig waren, zeigen z. B. die Eckfüllungen an der
Börse zu Kopenhagen.

Wir sehen also eine fortwährende Wechselwirkung
zwischen Kleinkunst und Architektur und umgekehrt,
mit einer gegenseitigen Tyrannei, aber meistenteils
von der Architektur über die Kleinkunst, weil eben
diese im allgemeinen die stärkere war.

Das interessanteste auf diesem Gebiete bietet nun
jene Periode, welche schließlich als die großartigste,
weil geschlossenste, gekennzeichnet werden muß, näm-
lich die mittelalterliche. Nach der griechischen ist
die mittelalterliche Kunst die stilvollste, indem sie,
architektonisch gesprochen, die konstruktivste und die
einzige Originalkunst des Abendlandes.

Je geschlossener, je einheitlicher nun eine Kunst,
desto tyrannischer auch wieder jene gegenseitige Wir-
kung von Kleinkunst auf Architektur und umgekehrt;
und da nun im Mittelalter alles von der Kirche ab-
hängig war, auch die Kunst, war es zu guter Letzt
die kirchliche Baukunst, und zwar anfangs die ro-
manische, später die gotische, welche die ganze Kunst
unter ihre Herrschaft brachte.

Jedoch war es auch in dieser Zeit die Kleinkunst,
das Mobiliar, an welchem sich hauptsächlich die durch-
gehende Veränderung im Geiste der neuen Zeit, des
12. und. 13. Jahrhunderts, vollzog.

Es waren zuerst die nordisch europäischen Völker,
welche nach Karl dem Großen sich allmählich von
dem Einfluß Roms losmachten; und erst nachher
begann jene große gesellschaftliche Bewegung mit
dem Entstehen der Zünfte, als Folge der Lösung
des ganzen Gewerbes aus den Händen der Geist-
lichkeit.

Im Anfang der romanischen Periode stand daher
das Mobiliar ganz unter kirchlichem Einfluß (es ent-
lehnte der Architektur ihre besonderen Formen, und
zwar dermaßen, daß viele Möbel ganze Gebäude,
d. h. Kirchen imitierten; aber die Zünfte brachten
auch darin eine Veränderung zum guten); das dauerte
aber ziemlich lange, denn, wie jede Umwandlung
zum Wohl der Gemeinschaft, dauerte auch diese
Freimachung des bürgerlichen Gewerbes ein paar
Jahrhunderte, weshalb diese erst in der gotischen Zeit
erreicht war.

Man begreift es eben nicht, daß Strebepfeiler
und Strebebögen, welche in der großen Architektur
ihre konstruktive Berechtigung haben, auch an Möbel
übertragen werden; zwar meistens an Chorgestühle,
welche der kirchlichen Architektur am nächsten liegen
und daher selbstverständlich dem Schema eingereiht
werden; denn von profanem Hausrat ist jetzt leider
aus dieser Zeit nicht viel mehr übrig. Vielleicht würde
dieses doch eine freiere Verwendung der Motive zeigen
und besser, wie z. B. die Griechen es getan haben,
die Unterscheidung zwischen mobiliar, d. h. beweg-
licher und nicht mobiler Architektur. — Jene Unter-
scheidung gehört jedenfalls stilistisch zu den schwersten
Problemen. Ja sogar Wassernasen und Speier kommen
vor; kurz und gut, der ganze Apparatus, welcher zu
einer Außenarchitektur gehört. — Und dann das

Ornament! Es gibt keinen Stil, soviel mir bekannt,
welcher so bis zum Überdruß, ich möchte sagen bis
zum Ekel das nun einmal angenommene Ornament,
in diesem Falle das geläufige Schema von drei- und
vierpaß, ausgebeutet hat. Das architektonisch Aller-
höchste, das kirchliche Rosenfenster, wird sogar überall
dort angewendet, wo es eben nicht mehr hingehört,
als ob auch für das gewöhnlichste Gerätchen das
»Sub Rosa« von Bedeutung wäre. Übrigens bietet
die Renaissance ein ähnliches Ergebnis, indem archi-
tektonische Kuppelungen in der Kleinkunst Verwen-
dung finden, und wir haben Beispiele von Garten-
anlagen, welche umgekehrt Entwürfen für Spitzen-
kragen usw. entlehnt sind.

Doch muß man wirklich einerseits die größte
Bewunderung haben für die künstlerische Phantasie,
welche alles aus diesem Schema gemacht hat, anderer-
seits auch für die Hartnäckigkeit, mit welcher dieses
Schema bis zum Despotismus alles Künstlerische be-
herrscht hat. Ach, hätten wir heutzutage doch nur
etwas von diesem Prinzip, von dieser Unwillkür, von
dieser Unterwerfung an einem Kunstgesetz.

Die Tatsache, daß jeder Stil sich selber mehr oder
weniger ausnützt, alles, aber auch alles macht, bis
zuletzt nichts mehr zu machen übrig bleibt, möge
allein genügen, den neueren Stilbaumeistern einen
leisen Wink zu geben, daß sie am allerwenigsten
imstande sind, etwas Ursprüngliches, etwas Lebens-
frisches zu machen; weil eben alles schon gemacht
und natürlich innerhalb der einmal gefestigten Epoche
viel besser gemacht wurde; noch ganz abgesehen von
der geistigen Grundlage eines jeden Stils, welche
heutzutage doch wohl nicht dieselbe sein kann wie
ehemals. Zu diesen einzelnen Betrachtungen, welche
leicht noch mit vielen Beispielen zu ergänzen wären,
gehört kein tiefes Stilstudium, sondern sie sind Er-
gebnisse einer besonderen Anschauung, welche be-
zweckt, vor allen Dingen auch auf die Kunst die
Probe der Logik zu machen; und ich glaube wohl,
daß die heutige Zeit eine solche Probe ganz von
selbst herausgefordert hat.

Das eigentliche Moderne in unserer Zeit ist »Be-
sonnenheit«, sagt einer unserer größten jüngeren
holländischen Dichter! d. h., indem unsere Zeit auch
wirklich eine kritische genannt werden kann, soll sie
auch vor allem in ihren Werken die Folge davon
sehen lassen. Und in der Tat scheint es mir, daß
es auch wirklich die Besonnenheit ist, welche vor-
läufig die geistige Grundlage zu einer modernen
Architektur werden kann.

Aber man soll diese Kritik der älteren Epochen
nicht identifizieren mit Geringschätzung. Bekanntlich
kritisiert man doch nur Dinge, welche man beobachtet,
ja sogar solche, welche man liebt, denn im anderen
Fall bleibt man gleichgültig. Im Gegenteil, eine
solche Kritik ist nur der Beweis einer Sehnsucht nach
einem verlorenen Glück.

Der Wendepunkt bedeutet, daß die letzten ver-
flossenen dreißig Jahre in allem, in unseren An-
schauungen, in unseren gesellschaftlichen Begriffen
eine Umwandlung gebracht haben; daß dasjenige,
 
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