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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

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Heft 8 (2. Januarhfet 1898)
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Vom Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0279

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selbst erklären; der Theaterzettel aber
sollte keinen anderen Zweck haben, als
den, dem Zuschauer zu sagen, roer die
einzelnen Rollen spielt- War aus den
französischen Stücken der Rejane nicht
zu erkennen, wer die Leute sind, und
was und wessen Gatte, Onkel oder
Liebhaber, so tragen daran die Stücke
Schuld oder die — mangelnden Kennt-
nisse der Zuhörer im Französischen, die
freilich so manchen nicht bchindert
habcn, dem glänzenden Star des Pa-
riscr Vaudeville-Theaters zuzujubeln.
„Jch verstehe sie zwar nicht, aber ich
bewundere sie." L.

* Von Berliner Theatern.
Schon ist des Winters sruchtbarste
Zeit dahin. Unter den Spuren, die
er künstlerisch und literarisch bis jetzt
hinterlassen hat, ist kaum eine, dic
dem fegenden Winde der Zeit auch
nur über Nacht standhalten wird.
Vergänglicher als der Schnee, der im
Februar sällt und im ersten Strahl
dcr Märzsonne schmilzt, sind die
Theaterschöpfungen der Saison, der
gestrigen wie der heutigen. Jmmer-
fort Neues, Nteues, Neues, und sast
nie oin Werk, das alt wird, das über
die Saison hinaus jung bleibt und
lebensfrisch. Von den hundert „Neu-
heiten", die seit August „eingeerntet"
und „ausgedroschen" sind, sallen mehr
als neunzig unter den Begriff: Markt-
ware und Geschüstsproduktion. Sie
haben mehr Verwandtschaft zu den
Jndustriepapieren, dic der Kurszettel
verzeichnet, als zur Literatur. Ünter
dem Rest, zu dem ich Halbes, Zobel-
titz', Dreyers, Reulings und Bernsteins
Arbeiten zähle, sind vielleicht zwei,
die nicht der nächste Sommer schon
verdorrt und abgestorben findet. Der
kleinen Schar hat sich neuerdings ein
Werk von Richard Votz zugesellt.
Literarisch ist sein Gepräge unbedingt,
ich inöchte sagen z u literarisch, dauer-
hastcr aber als die Geschäftsware ist
es schwerlich. Richard Voß zeigt in
dieser Schöpfung, die sich kurz und
knapp „Der König" nennt, wieder
einmal, wie sich dcm Dichter, der alle
Dinge durch die Brille der Theatralik
sieht, auch die lebendigstc Wirklichkeit
zum Schemen verslüchtigt, zur Fratze
verzerrt. Die äutzeren Thatsachcn,
die Votz zum Schaffen anregten, sind
ohne Zweifel das Schicksal des bay-
rischen Ludwigs II. und die Entlassung
Bismarcks. Aber ein einfacher Bericht
über diese Geschichtsthatsachen wirkt
unbedingt dramatischer, als dasSchau-
spiel „Der König". Mit Anstrengung

aller seiner Kräfte hat sich Voß be-
müht, dem Wirklichkcitsstoff alles
Leben auszupumpen und so viel wie
möglich Theaterei und Buchhaftigkeit
einzupumpen. Datz er die Gegenwart
ins Mittelalter übersetzt und die Ge-
stalten in spanischcs Kostüm steckt,
dagegen wäre wenig einzuwenden,
wenn ihm nicht unter der Hand das
Kostüm zur Hauptsache und alles in
dem Stücke, Charakteristik, Sprache,
Handlung spanisch würde. Nur der
ersto Akt setzt bedeutsam und ver-
heißungsvoll ein. Er erregt dio Er-
wartung, datz der Dichter ein Cha-
rakterdrama grotzen Stils geben werde,
datz cr in krästigen psychologischen
Zügen die Entwicklung cines gläu-
bigen Jdealisten zum finstern Nealisten,
eines Volksfürsten zum Tyrannen
zeichnen werde. Aber in den weitoren
Akten wird das psychologische Element
von einer banalen Liebcsgeschichte
fast erdrückt, der Wirklichkeitsstoff von
Phantastereien überwuchert. Nur hier
und da zeigt Voß, was er leisten
könnte, wenn er Menschen und Dinge
im hellen Lichte des Lebens, statt iur
trüben Schein der Theaterlampe sähe,
nur hier und da lodert eine Flamme
echter Leidenschaft, blitzt grünendcs
Leben auf. Als Ganzes aber ist das
Werk bücherne, papierene Literatur-
mache, aus Lektüreresten zusammcn-
geleimt; papieren ist die Sprache, die
Form, die Jamben, Trophäen, Reim-
verse bunt durcheinanderwirrt, pa-
pieren der Jnhalt, der immerfort
Erinnerungen weckt an Grillparzer,
Calderon und selbst Fulda. Das
Thema vom modernen König soll erst
noch seinen Meister finden; wcder
Fulda und Björnson noch Voß haben
es im innersten Lkern erfatzt. Das
Pathos, wie es Voß an dieses Thema
wendet, ist im Grnnde eino Vergeu-
dung; für den Gottesgnadentraum
genügt, wie mir scheint, die Art der
satirischen Komödie durchaus.

kjeinrich ks ar t.

* Ueber Sudermanns „Jo-
hanneS", der jetzt zuglcich in Bcrlin
und Dresden aufgeführt wurde, spricht
der Kunstwart im nächsten Hefte.

* Jm Weimarer Hostheatcr wurde
„Um die Scholle", Trauerspiel in
drei Aufzügen von Paul Quensel
zum ersten mal gegeben. Das Stück
ist insofern bemerkenswert, als es zeigt,
datz die aus dem Naturalismus er-
wachsene gesunde „landschastliche und
volksstammliche" Bewegung auch die
Bühncn zu crobern trachtet. Qnensel

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