Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


' tU

hält der Zug sckon an seinem Ziel, ich steig' aus und cr-
kundige mich nach dem „Rheinischen Hof."

„Rheinischer Hof?" sragt da ein Packknecht, „Sie ent-
schuldigen, wir haben keiu Hotel dieses Namcns; aier in
Mainz ist ein Rheinischer Hof."

Eben deßhalb will ich dahin.

„So soll ich also Jhre Sachen nach der Post bringen?"

Nein ! schrei' ich nun fast unwillig, in den Rheinischen
Hof. Da Pflgnzt der Eisenbahnlümmel mit offenem Maule
sich vor mich hiu und lacht mir in's Gesicht: „Haben Sie
denn eine andere Gelegenheit nach Mainz?"

Bin ich denn nicht schon da?

„Jn Darmstadt freilich; abcr nicht in Mainz!"

Wer nun den Mund aufsperrte, war ich. Endlich löst
sich oon dcr erstarrten Zunge die Frage: Aber wie komm' ich
denn nach Darmstadt?

„Mein Gott! Sie sind ja schon da."

Verwünscht nein! Jch meine, wie bin ich denn nach
Darmstadt gekoninien?

„Mit dem Dampfwagen, Herr!"

Scher' der Dampfwagen und Du Dich zum Teufel!
Was Jhr für cin dummcs Volk seid! Konnte mich der Bil-
leteur nicht fragen, wohin ich wolle?

„Nichts für ungut, lieber Herr! aber ich glaube, das
wär' Jhre Sache gewesen."

Daß so cin einfältiger Kerl Necht haben muß! Dann
setzt er fast grob hinzu: „Weun Sie also nicht zur Post
wollen, soll ich dann vielleicht in die „blaueTraube" fahren?"

Jch nicke stumm, und um meine Verlegenheit zu oer-
tuschcn, summ' ich den „Jungfernkranz" so vor mich hin,
während cr mir den Gepäckezettel abfordert. Kaum hat er
einen Blick auf diesen gcworfen, so schlägt er ein unsinniges
Gelächter auf und schreit: „Ha ha ha! Das ist mir doch
noch nicht vorgekommen, daß Passagier und Passagiergut so
auseinanderfahren; Sie sind in Darmstadt und Jhr Koffer
ist drüben in Mainz." — Nun frag' ich Jedcn: ist das auch
eine Ordnung? Jch will nach Mainz, und der ocrwüiychte
Dampfwagcn schleppt mich nach Darmstadt, und da sitz' ich
jetzt und kann sehen wie ich meincn Koffcr wieder bekomme.
Ein Glück, daß nicht alles Geld darin ist! Doch was nun
beginnen? Hier ist natürlich meines Bleibens nicht. Nur um
nicht ganz umsonst dagewesen zu sein, beleg' ich in der blauen
Traube ein Couvert an der tublö ck'Iiots, trage dem Ober-
kellner auf, mich auf dcr Post nach Mainz einschreibcn zu
lassen, stcck' eine Cigarre in den Mund und schleudere bis
zur Tischzeit durch die Straßen der Stadt.

Als ich nun vor dcm großherzoglichen Schloße so da-
steh' und an gar nichts denke, packt mich auf ein Mal
Einer unsanft am Rockkragen und erklärt mich für seinen
Arrestanten. Jch, imnier noch arglos fortrauchend, frage na-
türlich: warum? Da schlägt dcr Kerl mir die Cigarre aus
dem Mund, daß die Nase fast mitgeflogen wäre. Nun das
ist denn doch zu rund! Jch schimpfe, er schimpft auch; er
zerrt mich mit Gewalt sort, ich stemnie mich aus Leibeskräf-
teu dagegen; ich verliere das Gleichgcwicht, er vcrliert es auch
und — plumps! wälzen wir uns übcreinander auf dem
Straßenpflaster. Als wir uns endlich wieder aufraffen, und

ich mir die Augen auswische, steht ein ganzer Haufe Gaffer
um uns her. Jch ruf um Hilfe, da lachen sie; ich tob' und
schreie, daß ich ein Vilbeler und unschuldig sci; da lachen die
Maulaffen noch mehr. Untcrdessen zieht mich mein grober
Habicht immer weiter und bringt mich — mich den ange-
sehcnsten jungen Mann meiner Vaterstadt, auf die Polizei!
Gut! Nachdem man mir für eine tüchtige Nase meinen Geld-
beutcl geleert hat, eil' ich über und über beschmutzt, niit dem
Taschentuche vor dcm Gesicht, in den Gasthof zurück.

Wie vorauszusehen, komm' ich zu spät, und bis ich
mich vollends nur einigermaßen ausbürsten lasse, ist die Ta-
fcl fast zu Ende. Jch wollte, sie wäre ganz vorüber gewesen!
Dcnn kaum tret' ich in den Saal, wo die lebhafteste Nnter-
haltung herrscht, da tritt plötzlich allgemeines Schwcigeu ein.
Der Gedanke: Du bist als das unglückselige Opfcr der Po-
lizei erkannt! fährt mir blitzschncll durch die Secle, uud all
mein Blut in dcn Kopf. Mir wird cs blau und roth vor
den Augen, die Kniee fangen an zu wanken, und ich wciß
noch heute nicht, wie ich auf meinen Platz gekommen bin.
Natürlich ist von meinem ungeheurcn Appetit keine Spur
mehr vorhanden. Da wieg' ^ ^
ich mich, um nur etwas j c
zu thun, ganz leicht vor- ^ ^-

und rückwärts auf mei-
uem Stuhle. Herr Gott!
wie wird mir? Jch be-
komme das Uebergewicht :
nach hinten, kann mit
den Händen nicht mehr.Z
den Tisch, kaum das Tisch- ^
tuch noch errcichen, und mein lctzter Anker sind die Füße,
die unwillkührlich unter dcm Tisch cmporschnellcn. Umsonst —
ich wanke — der Tisch wankt auch — ich stürze — der
Tisch auf mich, uud im Nu lieg' ich unter Schüsscln, Tel-
lern und Flaschen, unter Brühen und Brockcn begräbcn.

Bis jetzt hatt' ich stets nur gehört, daß es in guter
Gesellschaft unanständig sei, über einen Unfall des Nächsten
zu lachen, und insbesondcre — laut zu lachen, und ich licge
noch nicht auf dem Bodcn— pfui! da Lricht die ganze Vcr-
sammlung in ein Gelächtcr aus, daß cs eine Schande ist.
Jch springe wüthend auf, um mich so schnell als möglich da-
von zu machen. Jst es aber nicht als wie vcrhert! Da bin
ich in das Tischtuch verwickelt, und stürze beim ersten Schritte
jählings in die Arme einer häßlichcn Alten, die vor Lachen
bereits ganz blau ist, und die übrigen Bestien brechen aufs
Neue los, als wäre von ihncn nicmals Einer gestolpcrt.

Jch halte mich, wie sich leicht denken läßt, in dicser Um-
armung nicht auf. Mit ein paar langen Sätzen bin ich aus
dem Saal, ein halb Dutzend Kcllner hinter mir her. Was
bin ich schuldig? schrei' ich wild diese an, ich will augen-
blicklich fort. Tie machen mir keiue kleine Zeche. Jch lange
meinen Geldbcutel heraus — er ist leer; ich greife nach mei-
ner Brieftasche — Himmel! sie ist nicht da. Vermuthlich
ging sie während der Balgerci vor dem Schlosse verloren, und
ich habe sie nicmals wieder gesehen.

Was nun crfolgte, will ich lieber ganz mit Stillschwci
 
Annotationen