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befreitm, kamen wir in den rothen Adler und setzten uns
zu Tische.

Bald kamen sämmtliche Schauspieler, die in mcinem
Stücke mitgewirkt, bis auf den Jntriguanten, der aus Furcht
wegen dcs Gclächters, das er durch sein schlechtes Memoriren
erregt, Vorwürfe zu hören, lieber wegblieb. Was die Necen-
senten betrifft, so waren sie als permanente Hungerleidcr schon
anwesend. Die Tafel kam mir vor, wie ein Leichenmahl.
Alle ffclen über das Essen und über den abwesenden Jntri-
guanten her wie heißhungcrige Wvlfe; und der Redaktcur der
„Ameise", ein Kerl, der für einen Thaler in seinem eigenen
Blatt sich sclbst herunterzureißen im Stande war, fraß mit
eincr solchcn Begierde, daß ihm ein Stück Hasenbraten in die
unrechte Kehle kam, und cr fast erstickt wäre, wcnn ihm nicht
sein Kollege, dcr Redakteur der „Sphinr", mit der Faust
so kollegialisch heftig auf den Rückcn geklopft hätte, bis er
dcn Hasen wieder von sich gab. Was den Intriguanten be-
trifft, so waren Alle einig, daß er allein an der kühlen Auf-
nahme meines Stückes Schuld sei. Sie sagten, er sci ein
schlcchter Schauspieler; dicß sagten besondcrs die Schauspieler.

Als eine mit Kastanien gespickte Gans auf den Tisch
kam, machte mir die Ameise ein Complimcnt übcr mcine Gast-
sreundschaft und ffüsterte mir zu, daß er es vollkommen zu würdi-
gen wisse, währcnd mir die Sphinr in metn anderes Ohr raunte,
daß ich auf seine fournalistische Freundschaft rcchnen dürfe.
Meine Frcunde bestellten nun Champagncr, (vcrsteht sich, auf
meine Kosten), und Eincr von ihnen brachte mir einen Toast,
in welchem er sagte, daß die scit Schillers Tod verwittwete
dcutsche Tragödie an mir wieder einen Mann gefunden und
forderte die Versammlung auf, die Gläser bis auf den Grund
zu lecren. Eh' ich noch ein Wort sprechen konnte, stand ein
Andercr auf, brachte mcin Wohl aus und forderte ebenfalls
die Tischgcnossen auf, die Gläscr bis auf den Grund zu leercn.
Sie trankcn den Champagner wie trocknes Erdreich cinen
wohlthätigcn Gewitterregen; und da mir der Appetit ver-
gangen war, so empfahl ich mich in aller Stille und eilte
meiner Wohnung zu. Hier fand ich auf dcm Tische einc runde
Schachtel und in dcrselben einen Eichenkranz und ein zierlich
gefaltetes Bricfchen von mciner Geliebten, iu welchem sie mir
sagte, daß sie sich glücklich schätze, von cincm Manne geliebt
zu werden, auf den einst das Vaterland mit Stvlz blicken
würde. Diesen Kranz, den sie mit ihrer eigenen Hand ge-
flochtcn, möge ich als den ersten, aber gcwiß nicht als den
lctzten betrachten, den mir Liebe und Hochachtung darbringe;
und so weitcr.

Man kann sich denken, mit welchen Gesühlen ich den
Kranz bcrührte. Das gute Mädchen hatte ihn, in der Uebcr-
zcugung meines unfehlbarcn Triumphes, noch vor dcr Vor-
stellung in meine Wohnung geschickt, damit er mich glcich nach
der Vorstellung freudig überrasche. Jetzt lag der Kranz da,
wie ein Hohn auf mein Mißgcschick, und ich kam mir um so
unwürdiger vor, je mehr ich das Zartgefühl mciner Geliebten
bewundcrte. Jch hätte mir Ohrfeigen gebcn können, so ärger-
lich war ich über mich selbst. Jch zog mich schnell aus,
warf mich mit ciner ganzen Armee geschlagener Hoffnungen
ins Bett, drückte die Augen fest zu und erwartete den Schlaf.
Kaum aber fühlte ich die wohlthätige Bcttwärme, als ich vor

meinem Fenster Geräusch vernehme. Es war das von meinen
guten Freunden bestellte Dutzend Musikanten. Sie spielten
die Melodie „Heil Dir im Siegerkranz", und zwar mit cinem
solchen Lärmen, als ob ein Dutzend betrunkener Gießkannen
auf einer Dachtraufe Hochzeit feierten, so daß bald die ganze
Nachbarschaft aufwachte. Was sollte ich thun? Jch mußte
auch diesen Kelch leeren.

Als dic Musik verstummte, glaubte ich endlich Ruhe zu
haben; aber ich hatte mich getäuscht. Ein fürchterliches Po-
chen licß sich an meiner Hausthüre hören und als ich das
Fenster öffne, ruft mir einer der Musikanten zu, ich sollte
bezahlen.

„Wartet bis morgen", sprach ich. „Wir sollen die Be-
zühlung gleich in Empfang nehmen", antwortete der Musi-
kant. Und als ich mich weigerte, fängcn sämmtliche Musi-
kantcn cincn solchen Lärmen an, daß ich nothgedrungen in
der bittern Kälte und halb nackt die Thüre öffnen und sie
einlassen mußte. Um fie gleich los zu werden, drückte ich
Iedem einen Gulden in die Hand, und glaubte, sie würden
von meiner Großmuth überrascht sein. Aber die unverschämten
Menschen forderten so viel, als ob sie die Harmonie der
Sphären vor meincm Fenster erecutirt hätten. Das empörte
mich, und als ich mich weigere, ihrem unbilligen Verlangen
zu willfahren, kamen der Posaunist und der Fagottist auf mich
zu und schrieen, daß wahre Künstler nicht mit sich akkordiren
ließen und daß man sich nicht wegen einer Lumperei in ciner
kalten Novembernacht auf die Straße stelle und „Heil Dir
im Siegerkranz" blase. Was sollte ich thun? Jch mußte
endlich ihr Begehren erfüllen. Aber auch damit waren die
Schelme noch ntcht zufriedcn; sie behaupteten, es wäre Jedem
von ihnen noch ein Glas Punsch versprochen worden. Um
sie loS zu wcrden, zahlt' ich Jedem ein Glas Punsch, und
war noch froh, daß nicht Jeder eine Flasche Champagner für
sich begehrtc. — Endlich erbarmte sich ein tiefer Schlaf meiner
Oualen.

Du weißt, mein thenercr Leser, daß dcrjenige, dcr das
Unglück hat, von ciner Kugel gctroffen zu werden, nicht
sogleich, sondern erst eine Weile nachher, die heftigen Schmer-
zen cmpfindet. So ging mir's auch.

Erst als ich am andern Morgcn erwachte, fühlte ich das
ganze Unglück meiner Niedcrlage. Wie gerne wäre ich in mci-
nem einsamen Zimmer, abgeschlossen von allcn Mcnschen,
geblieben! Allein dringende Geschäfte nöthigten mich auszu-
gehen. Jch that's mit betrübtem Herzcn. An jeder Straßen-
ecke, an jeder Kaserne, an jeder Pcnsions-Anstalt, an jedcm
Gasthause klebte meine Blamage, nemlich der riesengroße
Zettel, welcher mit dreistöckigen massiven Lettern mein Stück
vcrkündigte. Jch hätte zwei Jahre von meiner ewigen Se-
ltgkcit darum gegeben, wcnn ich die Zettel nicht erblickt hätte.

Kaum hatte ich zwei Straßen zurückgelegt, als ich hinter
mir die Worte hörte: „Das ist er!" und man kann sich
denken, daß ich meine Schritte bcffügelte; aber kaum war ich
in der dritten Straße, als der sogenannte „Unvermeidliche"
mir begegnete. Ein größeresUnglück hätte mir nicht begcgnen
können. Dieser „Unvermeidliche", ein pensionirter Einnchmer,
war übcrall zu finden, wo man ihn nicht sehcn wolltc, nem-
lich übcrall. Er brauchte jährlich ein halbes Dutzend Stiefeln
 
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