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„Jch schlenderte nun eines Morgens arglos durch die
Straßcn der Stadt und kam in dte Nähe eines Buchladens,
vor welchem sich ungewöhnlich viel Büchertitelkupferbeschauer
versammelt hatten. Der Andrang ward immer größer, so
daß mir ebenfalls die Neugier kam. Weit über Manneghöhe
war die Ankündigung eines ueuen Werkes auf eine große Tafel
geklebt. Die Schrift war in grellen Farbcn gcdruckt und
riesengroß. An der Stirne dcs Plakats prankte ein geharnifch-
ter Teufel, in scincr Rechten ein Schwert, in der Linken
eine Fahne schwingend. Hoch über Fahne und Schwert
schwebte in Bogenschrist das Motto:

Freiheit und Recht, Ordnung und Gesetz.
Wenn man dtese Schrist auftuerksam betrachtete, so fand sich,
daß sie aus kleincn Bänkelsängern, Affen, Bureaukraten und
Diplomaten, welche die lustigsten Schwänke und Ränke gegen
cinander ausführten, gcbildet war. Die Bänkclsänger leierten
und schnitten jämmerliche Fratzen, die Affcn bissen und kniffen
einander in die Schwänze, die Vureaukraten gingen gekrümmt
wie Lastthtere, die zu den Hieben der Treiber ein stumpf-
zuftiedencs Gesicht machen. Die Diplomaten hielten Fäden
in den Händen und Fernröhre, damit das ganze Puppenspiel
regierend und überwachend.

„Wenn man jedes der Worte und Zeichen des Motto's
als ein Ganzes für sich und seine Stcllung zu den übrigen
betrachtete, so führte Freiheit in sich cinen hämischen Krieg
und drohte doch mördcrisch mit scinen Fiedeln, Affenschwänzen
und Krallen zu Gesetz hinüber; abcr Gesetz zeigte ihm
ruhiger seine Bajonette, Schwerter, Fernröhren und Fäden,
wclche letztere sich nöthigenfalls in Ketten und Stricke ver-
wandeln konnten. Recht und Ordnung lagen eben so im
Strcit und rüttelten und stießen an dem Komma, welches
sich als cwigc Gränzschcide zwischen beidcn aufgepstanzt hatte.
Abcr Komma, das in seinem Zwergkörper Riesenkräste be-
saß, behauptete hartnäckig seinen Platz und trennte so Recht
und Ordnung von einander. Nur die beidcn und hielten
sich ganz neutral uud schicnen mit keiner von den vier strei-
tenden Partheien in Verbindung zu stehen.

„Als ich mcine Blicke von diesem ersten interessanten
Buchhändlcr-Räthsel hinabgleiten ließ, traf ich auf ein zwei-
tes, das aber meine Verwunderung zum Entsetzen steigerte.
Es lautete: „Politische Gedichte von —" hier folgte
mein Name. Jch stand wie in den Boden gewurzelt, ver-
dummt und verblüfft, denn daß man auch ohn' es selbst zu
wissen und zu wollen ein politischer Dichter werden könne,
war mir noch im Traum nicht eingefallen. Jn die furcht-
bare Nacht meiner Verlegcnheit zuckte aber plötzlich ein er-
leuchtender Blitz, ich las mein Schicksal und es lautete:
Hauschnabel! Du hast den Schwur deiner Rache schrecklich
crfüllt! Untcr meinem Namen deine schlechten politischen
Gedichte drucken lassen und ich bin nun lächerlich und ge-
brandmarkt. — Mcine Verlegenheit wuchs mit jeder Minute.
Schon richteten die Elegants ihre Augenzwicker und Lorgnetten
aus mich, mehrere Tamen sahen mich bewundernd an und
flüsterten sich laut zu: „Es ist doch etwas GLttliches um
einen politischen Dichter! Seh'n Sie nur, wie die Begeisterung
ihm noch aus den Augen leuchtet! —" „Wen meinen Sie
denn?" — „Nun? Seh'n Sie ihn denn nicht! Den jungen


Herrn dort? Dcn Verfaffer der jetzt angekündigten neuen
politischen Gedichte?!"

„Ah!" scholl es nun laut bewundernd durch die Ver-
sammlung, zugleich bildete sich ein dichter Kreis von Gaffern
um mich her. Um meine Verlegenhcit doch ja ganz voll-
ständig zu machen, fielen jetzt Rosen und ein Lorbeerkranz
wie vom Himmel herab zu meinen Füßen. Als ich meine
Augen mechantsch empor richtete, gewahrt' ich in dem Erker-
fenster eincs Hauses eine weibliche Gestalt, welche jetzt unter
phantastischen, wahnsinnigen Geberden anhub, ein Jubelgedicht
auf mich herab zu schmettern. Das Publikum begleitete die
Verse mit schrecklichem Halloh, Hurrah und Bravo. — Jch
erfuhr später, daß die arme Wahnstnnige eigentlich keine
Wahnsinnige, sondcrn eine sehr bekannte, emanzipirte, politi-
sche Dichterin sei, welche beim ersten Lesen meiner politischcn
Verse in flainmcnde Begeisterung aufgelodcrt sei. Das un-
eigcnnützige Bcnehmen dieser Dichterin verdicnt allgcmeincr
bekannt und ancrkannt zu werden, als cs der Fall ist, erwägt
man, daß andere wcibliche Berühmtheitcn — z. B. die Gräfin
Hahn-Hahn — gegcn uns so schonungslos verfahren, in-
dem sie offen gestehcn: daß ihnen kcin Mann iiuponiren,
noch sie im entferntestcn mit seinen Leistungen befricdigen
könne.

„Meine Bewunderer machten schon Miene, mich auf
offcner Straße mit dem Kranz zu schmücken und mich im
Triumph durch die Stadt zu tragen, als sich, zu meiner
Rettung, die Thüre des Buchladens wcit öffnete, und ein
Commis heraus ricf: „Wer die neuen pvlitischen Gedichte
kaufen will, der kaufe schnell, denn jeden Augenblick wcrden
sie verbotcn sein."

„Jch hatte vorhin Niemanden hineingehen und kausen
sehen, jetzt aber stürzte Jedes hinzu, um stch noch eines oder
mehrerer Eremplare zu versichcrn. Jch drängte hinein, mich
an dem rasenden Absatz meines Werkes mit zu frcuen und
mir wo möglich auch cin Eremplar davon zu verschaffen.
Jch hatte viel zu thun, bis ich au dcn Halbkreis des Tisches
kam, wo mir für wenig Geld ein fingcrdickes Heft eingehän-
digt wurde. Jch zog mich damit in einen Winkel zurück, um
den ersten Tümult verlaufen zu lassen.

„Bald warcn einige Haufen Gedichte vergriffen und schon
wurdcn andere herbei geschleppt, als von der Straße her der
gebietende Ruf crscholl: „Platz der Polizei!" Zugleich trat
ein Commissär in den Buchladen. Jhm folgten cin paar
geringere Schnapphähne. Die meisten Käufer fragten jetzt
nach andern Wcrken und verzögerten so ihren Aufenthalt.

„Der Commissär ließ die noch anwesenden Haufen Ge-
dichte nach wenigen Erläuterungen mit Stricken henkermäßig
zusammenbinden und hinwegschleppcn. Dann fragte er den
Buchhändler auf Gewissen und Ehre: ob von dem neuen
verderblichen Werk kein wciterer gedrucktcr Vorrath vorhanden
sei? was der Gefragte vcrneintc. Hierauf gebot er diesem,
ihm zu folgen vor die hohe Behörde, und Beide entfernten sich.

„Die Käufer, welche sich während dieses polizeilichen
Aktes etwas verlaufen hatten, strömten jetzt wieder zahlreicher
herbei als vorhin und bcstürmten die Ladcndiener, doch nach-
zusehen, ob nicht noch ein letztes Heft dcr verbotenen Gedichte
vorhanden sei. Man sah bald, daß der lctztcn Eremplare


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