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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 33.1990

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Nr. 3
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Ströhlein, Helga: [Rezension von: Gerhard Binder / Bernd Effe (Hg.), Krieg und Frieden im Altertum]
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https://doi.org/10.11588/diglit.35873#0094

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ge, die Alternative von Krieg und Frieden. Wichtig ist allerdings, daß Achill schließlich, als Pria-
mos ihn um die Herausgabe des Leichnams seines Sohnes Hektor bittet, zurückfindet zu atStoq
und gXeog , zu Scheu und Mitleid.
Der Beitrag 'Krieg und Frieden' im A/fertum; Ffistorisch-vergieicbende Überfegungen zur Seman-
tik zweier Wortfe/dnamen von M. /ob fragt nach den Benennungsmotiven für bellum / rcöüepoq
und pax / srpqvri , mit deren Kenntnis dann in gewissem Umfang Aussagen gemacht werden
können zur Geschichte der Begriffe und zu Einstellungen der Griechen und Römer gegenüber
den beiden Bereichen. Job nimmt für 'Friede' in verschiedenen indogermanischen Sprachen ein
einheitliches Benennungsmotiv an, „nämlich das Zusammenfügen derer, die durch Krieg ausein-
andergebracht waren". Interessant ist in diesem Zusammenhang der familistisch gefaßte Frie-
densbegriff der Germanen, den Ff.P. Hasenfratz in seinem Beitrag Krieg und Frieden bei den Ger-
manen untersucht. 'Friede' bedeutet gegenseitige Liebe (Freundschaft) innerhalb der eigenen
Sippe der Blutsverwandten und Verschwägerten, und zwar der Freigeborenen. Daß jenseits der
engen Sippengrenzen bereits der Unfriede beginnt, bedeutet eine vergleichsweise niedrige Ag-
gressionsschwelle der Germanen. Waffentüchtigkeit und Kampfbereitschaft verleihen einen ho-
hen sozialen Rang. Der bewaffnete Kampf auf einer höheren Organisationsform, zwischen Stäm-
men, Völkern, Nationen, — also Krieg in unserem Sinne, wofür die Germanen keine Bezeich-
nung hatten — setzt voraus, daß der familistische Friedensbegriff erweitert wurde. Das geschah
durch verschiedene „Mechanismen und Systeme übergreifender sozialer Bindungen" (z.B. Ge-
schenke, Gefolgschaft, Kultgemeinschaft), die „eine Friedensordnung zu gewährleisten imstande
sind, die den Sippenfrieden dauerhaft übergreift, die freilich auch Kriegsführung ermöglicht, die
über bloße Sippenfehde hinausreicht".
Die Formel vis pacem, para be/ium, Titel des Beitrages von K.-W. We/wei, gilt allgemein als Maxi-
me römischer Politik und diente z.B. unter Bismarck zur Rechtfertigung neuer Wehrgesetze zur Er-
höhung des deutschen Wehrpotentials. Trotz einiger Abstufungen ist aber allgemein zu sagen, daß
römische Politik Sicherheit und Frieden nicht durch die Demonstrierung von Stärke und durch Ab-
schreckung zu gewinnen suchte, sondern durch (selbstverständliche) Erweiterung des römischen
Herrschaftsbereiches. Und Pax Romana war kein Rechtsverhältnis zwischen souveränen Staaten,
sondern das Ergebnis einer Politik, durch die Rom konkurrenzlose Weltmacht geworden war.
C. G/ei beschreibt unter dem Titel Krieg und Frieden in der Siebt des Diebfers Vergii die verschiede-
nen Phasen der Vergilrezeption und beschäftigt sich ausführlich mit der seit den 60er Jahren schwe-
lenden Auseinandersetzung zwischen der historisch-kritischen Schule und den Befürwortern der
Two-Voices-Theorie, wie sie seit A. Parrys 1963 erschienenem gleichnamigen Aufsatz genannt wird.
Es geht um die Beurteilung der pietas des Aenaes und vor allem darum, ob Vergii den Krieg als poli-
tisches Mittel zur Etablierung und Stabilisierung der Pax Romana ablehnt, ob er also in seinen Wer-
ken eine pazifistische Haltung vertritt. Glei kommt nach der Betrachtung einiger Stellen aus Vergils
Werken zu dem Ergebnis, daß Vergii den Krieg ablehnt und darüber Klage führt, daß er aber leider
keinen Anlaß bietet, in ihm einen Kritiker römischer Weltherrschaftsideologie zu sehen.
Neben zwei Beiträgen zum Alten und Neuen Testament, zur antiken Baukunst, zu Augustin und
zum Jihäd (Kampf gegen die Ungläubigen zur Verteidigung und Ausbreitung des Islam) im Mittel-
alter sei noch besonders verwiesen auf G. Binders kommentierte Samm/ung von Kriegs- und Frie-
denstexfen. Beeindruckend sind die längeren Passagen aus zwei Texten des Erasmus, in denen
—endlich — von der konsequenten Ablehnung jeder kriegerischen Aktion, zu welchem Nutzen
und unter welcher Begründung auch immer, zu lesen ist.
Es ist zu hoffen, daß die Beschäftigung mit dem Thema des Bandes nicht im Kognitiven stecken-
bleibt. Die heute auf der Welt praktizierte Abschreckungsdoktrin mit der Demonstrierung militä-
rischer, sogar nuklearer Überlegenheit zeigt, daß wir noch viel zu sehr in den Kategorien Frieden
und Krieg denken. „Wir müssen unseren Kindern den Frieden erklären, damit sie nie anderen
den Krieg erklären" (V. Erhardt, Gymnasiallehrer).
HELGA SiRöHLEiN, Fichtenweg 1,3400 Göttingen

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