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Huth, Volkhard; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Staufische "Reichshistoriographie" und scholastische Intellektualität: das elsässische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von regionaler Überlieferung und universalem Horizont — Mittelalter-Forschungen, Band 14: Ostfildern, 2004

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https://doi.org/10.11588/diglit.34728#0018

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I. Einleitung

scheide«^. Die Aristoteles-Rezeption auf sich stetig verbreiternder Basis, un-
terstützt und flankiert auch von dem Wissenstransfer aus der arabischen
Welt, markiert die Scheidelinie.

bes. S. 644ff. Unter dem Titel: »Aufbruch - Wandel - Erneuerung« stehen die aus einem
Symposion von 1992 erwachsenen, von Georg Wieland herausgegebenen »Beiträge zur Re-
naissance des 12. Jahrhunderts« (1994), die sich Parallelentwicklungen über die thematisch
vorstrukturierten Komplexe »Individualität und Gemeinschaft«, »Schule und Wissenschaft«,
»Natur und Kunst« sowie anhand der Biographie zweier repräsentativer Persönlichkeiten
(Bernhards von Clairvaux und Abaelards) annähern. Wie verführerisch vorgestanzte Be-
grifflichkeiten ihr Unwesen treiben, ließe sich freilich gerade im Hinblick auf die moderne
Kategorisierungsfreudigkeit zwecks Kulturmorphologie des 12. Jahrhunnderts demonstrie-
ren. So wird beispielsweise zunächst niemand widersprechen wollen, wenn vom »renou-
veau scolaire« im früheren 12. Jahrhundert in der lateinischen Welt die Rede ist. Derlei aber
sogleich rhetorisch zu einer »veritable Revolution scolaire*« aufzublasen (so VERGER, Une
etape, S. 123) und dies mit Berufung auf eine zeitgenössische Wertung abzustützen, nämlich
über eine Aussage in der -Autobiographie* des Guibert de Nogent, läuft auf reine Hysterolo-
gie hinaus. Denn natürlich steht der zitierte Ausdruck nz'cM bei Guibert von Nogent (wovon
sich der Leser auch an Ort und Stelle über Anm. 2 S. 142 umgehend überzeugen kann), son-
dern ist schlichtweg eine moderne begriffliche Konklusion, mit der die Aussage des zitierten
mittelalterlichen Satzes pointierend zusammengefaßt wird. - Zu den ideologischen Optio-
nen und wissenssoziologischen Bedingtheiten, die sich im Vokabular moderner Historiker
zur Bezeichnung hochmittelalterlicher Wandlungsprozesse spiegeln, s. jetzt die Bestands-
aufnahme bei BORGOLTE, Einheit, Reform, Revolution, bes. S. 235ff. (»-Wende* und -Auf-
bruch*, -Revolution* und -Reform*«). Vgl. auch die folgende Anm.
3 Der Ausdruck entlehnt von FLASCH, Das philosophische Denken (wie Anm. 1), Überschrift
zu Abschnitt IV. (»Das 12. Jahrhundert«) Kap. 15 (»Eine geschichtliche Wasserscheide«).
Diese Einschätzung motivierte überhaupt erst die Konzeption der Standarddarstellung von
FERNAND VAN STEENBERGHEN, La philosophie au XIIN siede, Löwen - Paris 1966 (^1991; dt.
1977); vgl. ferner die Hinweise bei FLASCH, Das philosophische Denken (wie vorstehend),
S. 297ff. Georg Wieland hat in übergreifender Betrachtungsweise vorgeschlagen, daß Karl
Jaspers' Begriff der --Achsenzeit«, von diesem historisch unbefangen angewandt, gerade zur
Konturierung der grundlegenden erkenntnistheoretischen Neuorientierungen des 12. Jahr-
hunderts wie auch von deren Weiterwirken in der europäischen Kulturgeschichte sinnvoll
eingesetzt werden könnte; vgl. DENS., in: Protokoll Nr. 312 des Konstanzer Arbeitskreises
(Reichenau-Tagung vom 3. - 6. April 1990), S. 21: »Das 12. Jahrhundert ist wirklich so etwas
wie ein Stück Achsenzeit - anders als Jaspers das meinte. Jaspers kannte das 12. Jahrhundert
nicht. Er hat Achsenzeiten konstruiert, von denen ich meine, daß sie historisch weniger be-
deutsam sind als das 12. Jahrhundert. Denn unsere Gegenwart ist ohne die Entwicklung des
12. Jahrhunderts - so glaube ich - nicht verständlich«. Noch schärfer akzentuiert KLUXEN,
Begriff der Wissenschaft, S. 289, dieses Urteil, indem er, vor dem Hintergrund der Säkulari-
sierungsthese, feststellt, es sei »keine geschichtliche Legitimation für unsere heutige Wissen-
schaft möglich, die das 12. Jahrhundert überspringt oder auch nur es nicht zum Ausgangs-
punkt nimmt«. - Als Bezugspunkt des jüngsten Beitrags der Geschichtswissenschaft zur Be-
griffsdiskussion wählte Giles Constable die signifikanten Veränderungen des religiösen Le-
bens im 11./12. Jahrhundert, deren Anliegen und Ausprägungen im zeitgenössischen
Sprachgebrauch durch die zwar vielfach überlieferten, aber durchaus vielschichtigen Voka-
beln re/bn7M7T und re/ormaho bezeichnet wurden; vgl. DENS., Reformation; ebd., S. 325, die
Bilanzierung: »The reformation of the twelfth Century was a watershed in the history of the
church and of Christian society as well as of monasticism and religious life«. Die identische
Metaphorik bei den zitierten Autoren unterschiedlicher Couleur und Forschungsrichtungen
könnte einerseits für die Konsistenz des sachlichen Urteils, also für die Adäquanz von Be-
griffsbildung und ermitteltem historischen Sachverhalt sprechen, andererseits aber auch
immerhin den Verdacht wecken, daß hier bei der Urteilsbildung unterhalb der Ebene be-
wußter Intentionen liegende Erfahrungen und Prägungen ihren Niederschlag gefunden ha-
ben. Das unter diesem Blickwinkel grundsätzlich fühlbar werdende hermeneutische Pro-
blem ist seit Jahrhunderten bekannt; vgl. die Erörterungen bei BOLLNOW, Was heißt, einen
Schriftsteller besser verstehen, als er sich selber verstanden hat?
 
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