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Huth, Volkhard; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Staufische "Reichshistoriographie" und scholastische Intellektualität: das elsässische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von regionaler Überlieferung und universalem Horizont — Mittelalter-Forschungen, Band 14: Ostfildern, 2004

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https://doi.org/10.11588/diglit.34728#0134

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II. Historische Soziologie elsässischer Gelehrtenkultur

Demgegenüber können bibliotheks- und überlieferungsgeschichtliche Stu-
dien auf recht weit gespannte Beziehungsnetze verweisen, vorzugsweise für
Zeiten, in denen man zur Einsichtnahme in seltenere Werke nicht einfach den
Lesesaal der nächsten Universitäts- oder Landesbibliothek aufsuchte. Derlei
war um 1150 wohl in der abbasidischen Kalifenresidenz Bagdad möglich oder
(noch) im fatimidischen Kairo, und man darf sich dies zumindest auch für die
kaiserliche Bibliothek in Konstantinopel ausmalen, deren Bestände vermut-
lich schon im 9. Jahrhundert den Lehrstoff für den universitären Unterricht
im Magnaura-Palast hergaben; doch dürften schon hier die Zugangsbe-
schränkungen wesentlich einschneidender gewesen sein als bei den genann-
ten Analogiefällen der islamischen WelEA Solche Zentralbibliotheken öffent-
lichen Charakters existierten in der ganzen lateinischen Welt des 12. Jahrhun-
derts nicht, und es genügt bereits diese schroffe Gegenüberstellung, um sich
zu vergegenwärtigen, welche kulturgeschichtlichen Aufschlüsse im Einzelfall
aus dem Vorhandensein bestimmter Handschriften sowie aus dem Nachweis
der Benutzung bestimmter Autoren und Werke zu gewinnen sind. Die Dra-
stik der (auf abendländische Verhältnisse bezogen) anachronistischen Projek-
tion rechtfertigt sich hier allerdings gegenüber einer Nonchalance moderner
Wissenschaft, die einerseits die geschilderte Situation als im Grundsatz
selbstverständlich anerkennt und die Berufung darauf als trivial ansieht, im
praktischen Einzelfall aber dieses Elementarwissen immer wieder zugunsten
bequemer Vorannahmen schlichtweg fallen läßt. Besonders deutlich wird dies
an der Forschungsgeschichte zu einem verwickelten historiographischen En-
semble, das seit anderthalb Jahrhunderten mit Marbach in Verbindung ge-
bracht wird und zu den herausragenden reichsgeschichtlichen Quellen
spätstaufischer Zeit zählt: den >Marbacher Annalem also"A Ihre komplizierte
Text- und Überlieferungsgeschichte ließ bei manchem Gelehrten, darunter
auch bei ihrem letzten kritischen Herausgeber Hermann Bloch, »Chroniken ...
ricochettieren wie Billardkugeln, ohne dass die ... Forscher sich einen Augen-
blick darüber Gedanken machten, woher die Stösse kamen, die die Kugeln so
weit und in so merkwürdigem Zickzack umherrollen Hessen«, wie Johannes
Haller mit vollem Recht kritisiert haE'A

gelangtes Urbar saec. XVIin. (vgl. oben Anm. 353) sowie die nach Paris abgezogene Origi-
nalurkunde Paschalis' II. für Marbach d. d. 1103 August 2, heute Bibliotheque Nationale, Ms.
nouv. acq. lat. 2302 (hier Nr. 1); vgl. BRACKMANN, GP 11/2, S. 285ff. (hier: Nr. 2). Noch nicht
untersucht ist die nach 1459 in Marbach gefertigte, in den Besitz des Straßburger Humani-
sten Thomas Aucuparius (Vogler) gelangte Handschrift Uppsala, UB, cod. C 916. Dem jüng-
sten Katalogisat zufolge (ANDERSSON-SCHMITT/HALLBERG/HEDLUND [Hgg.], Mittelalterli-
che Handschriften der UB Uppsala. Katalog über die C-Sammlung, Bd. 6, S. 345ff.) enthält
sie auch zwei als Spiegelblätter auf Holz geklebte Pergamenturkunden; auf der vorderen
Urkunde ist noch der Ortsname sichtbar. Da leider beide Stücke mit der Schriftseite
gegen das Holz aufgeklebt wurden, kann vor ihrer Ablösung durch die Bibliotheksverwal-
tung keine nähere Bestimmung vorgenommen werden.
383 Vgl. insgesamt die bibliotheksgeschichtlichen Übersichten bei BURR, Der byzantinische
Kulturkreis, und HOLTER, Islam.
384 Amaales Marbacenses qui dicuntur, ed. BLOCH (1907).
385 HALLER, Marbacher Annalen, S. 112 Anm. 1.
 
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