Ein klösterliches Lehnswesen?
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Im Vergleich zu den Diktatoren von Urkunden waren die Klosterchronisten
dabei weniger streng an eine formalisierte Terminologie gebunden. Gerade weil
die Chroniken einen pragmatischen Nutzen haben sollten, wurden sie allerdings
nicht selten angereichert mit Dokumenten anderer Art, vor allem Urkunden, aber
auch Briefen, Gedichten und weiterem Material. So hatten die Autoren die
Chance, ihren Lesern mehr zu bieten als eine Momentaufnahme: Müheloser und
ausführlicher, als es eine Urkunde vermag, konnten sie schildern, wie sich Be-
sitzverhältnisse und personale Beziehungen historisch entwickelt hatten. Dem
Charakter der Texte und der Intention der Chronisten liefe es allerdings zuwider,
wenn man im nachhinein die enge Verbindung zwischen Ereigniserzählung
einerseits und inserierten Texten andererseits auflöste. Deshalb sollen in diesem
Beitrag die Chroniken jeweils als Einheit ausgewertet werden.
In geographischer Hinsicht konzentriert sich die Untersuchung auf Lotha-
ringien und den deutschen Südwesten, allerdings nicht ohne Seitenblicke auch
auf andere Regionen. Dabei gehe ich in zwei Schritten vor: Zunächst ist der Fokus
eng auf zwei Klöster gerichtet, nämlich auf Sint Truiden in Lotharingien und auf
Lorsch. Deren Überlieferung bietet außergewöhnlich reiches Material zu den
Leitfragen, die die Herausgeber dieses Bandes formuliert haben. Im zweiten
Schritt sollen dann die lokalen Befunde abgeglichen werden mit dem Bild, das
sich aus weiteren Klosterchroniken des 12. Jahrhunderts ergibt.
2. Feoda im Spiegel der Chronik von Sint Truiden
Aus Sint Truiden ist eine umfangreiche Klosterchronik überliefert, die in
mehreren Etappen seit dem frühen 12. Jahrhundert niedergeschrieben wurde* * 4.
Wie es für die Gattung typisch ist, enthält der Text nicht nur erzählende Pas-
sagen; die Autoren haben in ihre Darstellung außerdem zeitgenössische
Dokumente inseriert, hier vor allem Briefe. Die Chronik ist - auch das ist typisch
- aus einer Krise der monastischen Gemeinschaft heraus entstanden. Im letzten
Viertel des 11. Jahrhunderts hatten sich in Sint Truiden drei Spannungsfelder
Discourses and Forms of Legitimacy in Medieval Societies, hg. von Isabel Alfonso/Hugh
Kennedy/Julio Escalona (The Medieval Mediterranean 53), Leiden/Boston 2004, S. 27-49.
4 Gesta abbatum Trudonensium, ed. RUDOLF Koepke, in: MGH SS 10, Hannover 1852, S. 213-448;
vgl. dazu Goetz, Geschichtsschreibung (wie Anm. 1), S. 400-409; zu den verschiedenen
Verfassern grundlegend Guillaume Simenon, Les chroniqueurs de Tabbaye de Saint-Trond, in:
Mélanges Godefroid Kurth, Bd. 1, Lüttich 1908, S. 61-71; zu Rudolfs Arbeitsweise auch Jean G.
Préaux, Rodulfe de Saint-Trond et les principes de la critique historique, in: Latomus 5, 1946,
S. 141-153. Einen Überblick über die Geschichte des Klosters geben Gustave Boes, L'abbaye de
Saint-Trond. Des origines jusqu'à 1155, Tongres 1970, sowie Paulette Pieyns-Rigo, Abbaye de
Saint-Trond, in: Monasticon beige, Bd. 6: Province de Limbourg, Lüttich 1976, S. 13-67.
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Im Vergleich zu den Diktatoren von Urkunden waren die Klosterchronisten
dabei weniger streng an eine formalisierte Terminologie gebunden. Gerade weil
die Chroniken einen pragmatischen Nutzen haben sollten, wurden sie allerdings
nicht selten angereichert mit Dokumenten anderer Art, vor allem Urkunden, aber
auch Briefen, Gedichten und weiterem Material. So hatten die Autoren die
Chance, ihren Lesern mehr zu bieten als eine Momentaufnahme: Müheloser und
ausführlicher, als es eine Urkunde vermag, konnten sie schildern, wie sich Be-
sitzverhältnisse und personale Beziehungen historisch entwickelt hatten. Dem
Charakter der Texte und der Intention der Chronisten liefe es allerdings zuwider,
wenn man im nachhinein die enge Verbindung zwischen Ereigniserzählung
einerseits und inserierten Texten andererseits auflöste. Deshalb sollen in diesem
Beitrag die Chroniken jeweils als Einheit ausgewertet werden.
In geographischer Hinsicht konzentriert sich die Untersuchung auf Lotha-
ringien und den deutschen Südwesten, allerdings nicht ohne Seitenblicke auch
auf andere Regionen. Dabei gehe ich in zwei Schritten vor: Zunächst ist der Fokus
eng auf zwei Klöster gerichtet, nämlich auf Sint Truiden in Lotharingien und auf
Lorsch. Deren Überlieferung bietet außergewöhnlich reiches Material zu den
Leitfragen, die die Herausgeber dieses Bandes formuliert haben. Im zweiten
Schritt sollen dann die lokalen Befunde abgeglichen werden mit dem Bild, das
sich aus weiteren Klosterchroniken des 12. Jahrhunderts ergibt.
2. Feoda im Spiegel der Chronik von Sint Truiden
Aus Sint Truiden ist eine umfangreiche Klosterchronik überliefert, die in
mehreren Etappen seit dem frühen 12. Jahrhundert niedergeschrieben wurde* * 4.
Wie es für die Gattung typisch ist, enthält der Text nicht nur erzählende Pas-
sagen; die Autoren haben in ihre Darstellung außerdem zeitgenössische
Dokumente inseriert, hier vor allem Briefe. Die Chronik ist - auch das ist typisch
- aus einer Krise der monastischen Gemeinschaft heraus entstanden. Im letzten
Viertel des 11. Jahrhunderts hatten sich in Sint Truiden drei Spannungsfelder
Discourses and Forms of Legitimacy in Medieval Societies, hg. von Isabel Alfonso/Hugh
Kennedy/Julio Escalona (The Medieval Mediterranean 53), Leiden/Boston 2004, S. 27-49.
4 Gesta abbatum Trudonensium, ed. RUDOLF Koepke, in: MGH SS 10, Hannover 1852, S. 213-448;
vgl. dazu Goetz, Geschichtsschreibung (wie Anm. 1), S. 400-409; zu den verschiedenen
Verfassern grundlegend Guillaume Simenon, Les chroniqueurs de Tabbaye de Saint-Trond, in:
Mélanges Godefroid Kurth, Bd. 1, Lüttich 1908, S. 61-71; zu Rudolfs Arbeitsweise auch Jean G.
Préaux, Rodulfe de Saint-Trond et les principes de la critique historique, in: Latomus 5, 1946,
S. 141-153. Einen Überblick über die Geschichte des Klosters geben Gustave Boes, L'abbaye de
Saint-Trond. Des origines jusqu'à 1155, Tongres 1970, sowie Paulette Pieyns-Rigo, Abbaye de
Saint-Trond, in: Monasticon beige, Bd. 6: Province de Limbourg, Lüttich 1976, S. 13-67.