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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0013

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1. Politische Verflechtungen im spätstaufischen Reich

gerade in jüngerer Zeit erfahren hat, ist es vor allem dieses zeitweilige Verschwinden der
Zentralgewalt, das es auch heutigen Historikern noch erlaubt, von einem besonderen
„Zwischenreich" zu sprechen.^
So zahlreich und bestimmt die Urteile über das Interregnum auch sind, so sehr fällt
doch auf, dass es an einem überzeugenden Gesamtbild der Geschichte dieser Zeit fehlt.^
Dies hat seine Ursache weniger in dem „schlechten Ruf" des Interregnums, als vielmehr
in der Frage, inwieweit es damals überhaupt noch eine „Reichsgeschichte" gegeben hat.
Das Königtum als der Mittelpunkt der Reichsverfassung war in den Dezennien von 1256
(oder eigentlich schon von 1245 oder gar 1239 an) bis 1273 nachhaltig geschwächt. So
muss die traditionelle Erzählform der Reichsgeschichte als Herrschermonographie hier
versagen. Aus der Perspektive eines nur eingeschränkt im Reich präsenten Herrschers -
was auch schon für Friedrich II. gilt - lässt sich das bewegte politische Geschehen jener
Jahre nur noch sehr unzureichend beleuchten.^ Ganz folgerichtig hat die zunehmende
^ Für die zumindest metaphorische Verwendung („sogenanntes Interregnum") plädieren zuletzt
KAumoLD, Interregnum, S. 15f.; KiRK, Interregnum, S. 575f. Eine Zusammenstellung der gän-
gigen, meist negativen und zuweilen drastischen Interregnum-Klischees des 19. Jahrhunderts
liefert KiRK, ebda., S. 207-13 u.ö. Die zumindest partielle Neubewertung dieser Epoche war
im 20. Jahrhundert weniger neuen Forschungsergebnissen als vor allem dem „allgemeinen
Wandel ordnungspolitischer Maßstäbe" (Kaufhold) geschuldet. Deutlich zu relativieren ist
etwa die lange Zeit gängige Beurteilung des Interregnums als eine Epochenscheide, für die
das Fickersche Diktum zum Wormser Hoftag 1231 zu gelten habe, diese Zeit stehe „gleichsam
auf der Schwelle zwischen dem einen Reich welches ehemals war, und den vielen Ländern
welche nun werden" (BF 4188a). Die Vorstellung von der entscheidenden „Urkatastrophe"
der deutschen (Nationalstaats-)Geschichte wurde fallengelassen zugunsten einer Sichtweise,
die den Prozesscharakter des im 13. Jahrhundert unbestreitbar stattfindenden grundlegenden
Verfassungswandels stärker betont (KiRK, ebda., S. 196, 558-565). Auch das im obigen Zitat
angedeutete Niedergangsszenario eines im Interregnum „zersplitternden" Reiches wich einer
positiven Bewertung der Territorialisierung als ein Prozess der Ausbildung und inneren
Verdichtung von partikularer Staatlichkeit, vgl. KiRK, ebda., S. 538-42, 549-53 u.ö. Und selbst
die bis heute verbreitete Vorstellung vom Interregnum als eine Zeit allgemeiner Rechtlosigkeit
und Gewalttätigkeit ist von der jüngeren Forschung in Frage gestellt worden: Wir wissen
schlichtweg nicht (und es fehlen uns Methoden, dies quantifizierend zu prüfen), ob es in
dieser Zeit ein signifikantes Mehr an Gewalt im Vergleich zu früheren oder späteren Zeiten
gegeben hat. Vgl. KiRK, ebda., S. 239, 390f. u.ö., sowie KARL-FRiEDRicH KRIEGER, Rudolf von
Habsburg (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2003, S. 56.
^ Vgl. hierzu wiederum das Kompendium von KiRK, Interregnum, die zu dem Schluss kommt:
„Künftig wird die Mediävistik, mehr als hundert Jahre nach Kempfs "Großem Interregnum"
und nach dem Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte, erneut vor der Aufgabe stehen,
darzustellen, wie es damals eigentlich gewesen ist" (S. 576). Die erwähnte Arbeit von JOHANN
KEMPF, Geschichte des Deutschen Reiches während des grossen Interregnums 1245-1273,
Würzburg 1893, kann als einzige Gesamtdarstellung des Themas in ihrer konventionellen
Erzählung und ihren oft überholten Urteilen heute nicht mehr überzeugen. Kirk selbst präsen-
tiert ein Kaleidoskop der Forschungsmeinungen, aber keine eigenständige Gesamtdarstellung
und -analyse des geschichtlichen Verlaufs. Auch KAUFHOLD, Interregnum leistet dies erklärter-
maßen nicht (ebda., S. 23). Siehe auch die nächste Anm.
^ An höchst beachtenswerten älteren und jüngeren Monographien zu Königen des 13. Jahrhun-
derts mangelt es keineswegs. Zu nennen sind zum einen die neuesten Arbeiten zu Herrschern,
die unmittelbar vor bzw. nach dem Interregnum regierten: WoLFGANG SiÜRNER, Friedrich II.,
2 Bde. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1992/2000 (im Folgenden
ist, wenn nicht anders angegeben, immer Bd. 2 gemeint); HUBERT HouBEN, Kaiser Friedrich II.
(1194-1250). Herrscher, Mensch und Mythos (Urban-TB, 618), Stuttgart 2008; OLAF B. RÄDER,
Friedrich II.: der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München 2010; sowie
 
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