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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0052

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1.2. Geschichte und Netzwerkanalyse: Eine methodische Einführung

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die enormen Fluktuationen, denen die Parteibildungen im politischen Alltagsgeschäft
des Reiches, einer Region, einer Hofgesellschaft unterworfen waren, zu gewinnen. ' ^
Den Nachteilen, die aus der bloß narrativen Erfassung und Beschreibung komplexer
politischer Wirkungszusammenhänge entstehen, soll die mathematische Netzwerkana-
lyse abhelfen. Sie stellt sich damit in die Tradition einschlägiger (landes-)historischer
Forschung, erprobt aber neue Wege der Erkenntnisgewinnung und der sprachlichen wie
visuellen Präsentation ihrer Forschungsergebnisse.
Halten wir fest: Indem das hier vorgestellte Computerprogramm ein gegebenes
Netzwerk in intern konfliktfreie Akteursgruppen zerlegt und dessen Struktur graphisch
veranschaulicht, liefert es Anhaltspunkte für die inhaltliche Interpretation von (im wei-
testen Sinne) politischen Wirkungszusammenhängen. So kann die Netzwerkanalyse
schon im hier gewählten, bewusst einfach gehaltenen Beispiel sowohl die strategische
LuDwiG PETRY (Hg.), Festschrift Johannes Bärmann, Teil 2 (Geschichtliche Landeskunde, 3.2),
Wiesbaden 1967, S. 44-126; DERS., Könige, Fürsten, Adel und Städte am Mittelrhein und
in Franken zwischen Thronstreit und Mainzer Reichslandfrieden 1198-1235 (Quellen und
Forschungen zur hessischen Geschichte, 127), Darmstadt 2001, sowie DERS., König Adolf von
Nassau im Bund mit Eduard I. von England. Könige - Adelsrevolten - Kurfürstenopposition
(1294—98), in: Nassauische Annalen 113 (2002), S. 1-57. Eine schöne Beschreibung des Mächte-
systems im mainzisch-hessischen Raum, welche sich genau an die Maximen der strukturellen
Balance hält, findet sich bei PETER MoRAW, Das Heiratsverhalten im hessischen Landgra-
fenhaus ca. 1300 bis ca. 1500 - auch vergleichend betrachtet, in: WALTER HEINEMEYER (Hg.),
Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997. Festgabe, dargebracht von
Autorinnen und Autoren der Historischen Kommission, Bd. 1 (Veröff. der Historischen Kom-
mission für Hessen, 61/1), Marburg 1997, S. 115-140, hier S. 118: „Der Landgraf, der natürliche
Feind des Erzbischofs, war der natürliche Freund des Pfalzgrafen, die Gegner Hessens waren
selbstverständlich Verbündete von Kurmainz." Zu erwähnen ist auch die schon genannte
Studie von ALTHOFF, Die Erhebung, die mir wichtige Anregungen für die Konzeption der
hier vorgelegten Untersuchung gegeben hat. Althoff legte sich in ihr die Frage vor, wie es
angesichts der „Erbfeindschaft" zwischen den Erzbischöfen von Mainz und den Landgrafen
von Hessen möglich war, dass der Mainzer Erzbischof 1292 die Erhebung Heinrich des Kindes
in den Reichsfürstenstand unterstützte. In prägnanter Weise wird von ihm das politische Feld
im Mächtedreieck Mainz-Hessen-Braunschweig beschrieben (unter Berücksichtigung weiterer
Akteure wie der Wettiner, Ziegenhainer, des Bischofs von Paderborn und des Königtums)
und es gelingt ihm so zu zeigen, dass das mainzische Verhalten durch eine vergleichsweise
kurzlebige Konstellation motiviert war, in der der Mainzer an einem guten Verhältnis zu Hes-
sen interessiert war (um gemeinsamen Druck gegenüber einer dritten Macht, Braunschweig,
aufzubauen). Hat somit die ältere Forschung mit Blick auf abstrakte (KonRikt-)Strukturen
der „longue duree" das Vorgehen des Erzbischofs als paradox und fehlerhaft bewertet, betont
Althoff das Überwiegen kurzfristiger Interessen und begründet damit die Valenz der konkre-
ten, höchst wandelbaren Verflechtungsstrukturen, denen ja auch die Aufmerksamkeit meiner
Untersuchung gilt.
'Dies gilt auch für Autoren, die einzelne Reichsfürsten in den Fokus ihrer Untersuchung gestellt
und hierbei vor allem die zeitliche Entwicklung dyadischer Verhältnisse (zwischen jeweils zwei
Akteuren) in linearer Erzählung nachgezeichnet haben. In diesem Sinne geradezu mustergültig
ist die umfassende Studie zum „Ego-Netzwerk" des Erzbischofs Heinrich (von Müllenark)
von Köln, eine wichtige Datengrundlage meiner Arbeit: MICHAEL MATSCHA, Heinrich I. von
Müllenark, Erzbischof von Köln (1225-1238) (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 25),
Siegburg 1992. Die Arbeit ist äußerst materialreich und gründlich gearbeitet und vielleicht
die beste heute existierende Monographie zu einem Reichsfürsten des 13. Jahrhunderts. Sie
offenbart aber auch die Schwächen der traditionellen Narrative der politischen Geschichte,
welche durch die Einführung netzwerkanalytischer Methoden überwunden werden sollen.
Zum Begriff des „Ego-Netzwerks" siehe JANSEN, Netzwerkanalyse, S. 65, 79ff. u.ö.
 
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