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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0072

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1.3. Gegenstand und Vorgehensweise dieser Untersuchung

71

Besitzstandsregelung, welche die gesamte Verwandtschaft als potentielle Erben betraf. Es
ist sehr wahrscheinlich, dass der damals abgeschichtete Ludwig von Ravensberg eben bei
dieser Gelegenheit die - durchaus im Gegensatz zur bisherigen ravensbergischen Politik
stehende - Eheverbindung mit Gertrud zur Lippe einging oder zumindest vereinbarte.'^
Anders als andere Relationskategorien, für die, wie noch zu begründen ist, im
Modell nur eine begrenzte „Laufzeit" angesetzt wird, nach der die Verbindung, sofern
nicht zwischenzeitlich aufgefrischt, verjährt, gilt die Verwandtschaftsbindung zwischen
den Geschlechtern im Modell als zeitlich unbegrenzt weiterwirkend, solange - und
dies ist wichtig - keine Konflikte oder anderweitige gravierende Verschlechterungen
im gegenseitigen Verhältnis bekannt sind.'^' Indem schwiegerschaftliche Bindungen
in unserem Modell tendenziell auf zeitlich unbefristete Dauer gestellt werden, werden
zugleich alle kognatischen Verwandtschaftsbeziehungen wie etwa Vetternschaft abge-
bildet.182 Allzu weitläufige Verwandtschaft etwa jenseits des Grades 2:3 oder 3:3 bleibt
unberücksichtigt, da Heiratsbeziehungen zwischen den untersuchten Geschlechtern erst
ab dem ungefähren Stichjahr 1180 in die Datenbank aufgenommen wurden. '^
als WfUB abgekürzt), als weitere Literatur zum Vertrag wurde FRIEDHELM BiERMANN, Der
Weserraum im hohen und späten Mittelalter. Adelsherrschaften zwischen welfischer Haus-
macht und geistlichen Territorien (Veröff. des Instituts für Historische Landesforschung der
Universität Göttingen, 49), Bielefeld 2007, S. 397 und 402 herangezogen. Zur Notation des Be-
ziehungsstatus des Urkundenausstellers, welcher der Zeugenliste des Vertrages zu entnehmen
ist, siehe die Erläuterung unten S. 75f.
iso Zum politischen Kontext siehe unten S. 165f. - Beobachtungen dieser Art, dass Zeugen-
leistungen in Privaturkunden durch verwandtschaftliche Beziehungen zum Aussteller oder
Empfänger der Urkunde motiviert waren, lassen sich, wie noch zu zeigen ist, sehr häufig
machen.
181 Dies entspricht dem jüngst von Gerhard Lubich herausgearbeiteten Befund, dass der allgemei-
ne Verwandtschaftsbegriff der „Harnes" in hochmittelalterlichen historiographischen Quellen
stets mit politischer Solidarität konnotiert ist, im Falle des Konflikts von Verwandten aber
die „affines''-Bezeichn ung vollständig vermieden wird. Vgl. LuBiCH, Verwandtsein, S. 69-84
sowie ebda. S. 9: „Konflikte setzen ihre Bindewirkung, das konsensuale Näheverhältnis außer
Kraft." - Der Umstand, dass Verwandtenehen nach einem kirchenrechtlichen Grundsatz, der
gerade im 13. Jahrhundert häufig angewandt wurde, dann erlaubt werden konnten, wenn
dadurch „alte Feindschaft beseitigt" werden konnte (HUBERT KROPPMANN, Ehedispensübung
und Stauferkampf unter Innozenz IV.: ein Beitrag zur Geschichte des päpstlichen Ehedispens-
rechtes [Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 79], Berlin / Leipzig 1937),
macht deutlich, dass nach Vorstellung der Zeitgenossen ein akuter Konflikt die politische
Bindewirkung der Verwandtschaft so wesentlich und irreversibel schädigen konnte, dass sie
im Falle der Versöhnung oft durch weitere Ehebündnisse neu begründet werden musste.
182 Kognatische Vettern sind durch eine aus der Elterngeneration herrührende Verwandtschafts-
beziehung verbunden. Über eine dritte Familie laufende Beziehungen - also etwa die Vettern-
schaft zu den Nachkommen der verheirateten Tochter eines Großvaters mütterlicherseits -
sind im Modell nur indirekt, vermittelt über die Familie des gemeinsamen Großvaters, wie-
dergegeben. D.h., die Verwandtschaft läuft dann über zwei Dyaden und die Pfaddistanz ist
in diesem Fall gleich zwei, die Bindung wird mithin als weniger eng gedacht, was oft der
Realität entsprochen haben dürfte.
183 Der genealogische Horizont des mittelalterlichen Adels war sicher nicht allzu groß. Er reicht
etwa bei Thietmar von Merseburg bis zu den Urgroßeltern und Verwandten im Grade 2:3 (sie-
he oben S. 23, Anm. 40). Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch LuBicH, Verwandtsein, S. 92f.,
100 u.ö. Innerhalb dieses Rahmens, der den Verhältnissen einer „face to face"-Gesellschaft
entspricht, kann Verwandtschaft auch als politisch tatsächlich wirksame Bindungskategorie
gedacht werden. Einen reizvollen ethnologischen Beleg aus der Moderne liefert ein volkskund-
licher Bericht, der die Verhältnisse im Sarnthal (Südtirol) um 1900 zum Gegenstand hat und
 
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