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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0082

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1.3. Gegenstand und Vorgehensweise dieser Untersuchung

81

bringt der nächste Programmschritt, die Überführung der Soziomatrix in ein Sozio-
gramm, bereits das erste und wichtigste Resultat der Analyse hervor: Hierbei werden die
Verflechtungsdaten nicht einfach nur graphisch dargestellt, sondern das Programm un-
ternimmt zugleich die Clusteranalyse nach dem in Kapitel 1.2.3 geschilderten Verfahren.
In der so erstellten Graphik werden die verschiedenen Cliquen durch Flächenfärbung
der Akteure kenntlich gemacht. Das Ergebnis ist ein Soziogramm, so wie es für das
Nibelungenbeispiel in Abbildung 9 (Seite 47) wiedergegeben ist.
Für ein kleines, überschaubares Netzwerk wie das in jenem Beispiel betrachtete,
wäre ein solcher Aufwand natürlich nicht notwendig. Das „Netzwerk Reich", so wie es in
der folgenden Untersuchung betrachtet wurde, besteht aber aus insgesamt 68 Akteuren^
mit jeweils wenigstens 250 Dyaden und eine derart gewaltige Struktur kann nur mithilfe
der Clusteranalyse durchschaubar gemacht werden. Die Farbtafeln 1 und 2 zeigen, wie
sich dieses Fürstennetzwerk Anfang 1225 im Datenmodell präsentiert, wobei in der
ersten Darstellung die Einfärbung der Cliquen weggelassen wurde. Der Vergleich beider
Abbildungen demonstriert eindrucksvoll, dass die sich historisch
deuten lassen, erst durch die Clusteranalyse sichtbar werden: Während auf Farbtafel 1
nur ein unverständliches Liniengewirr zwischen den nach ihrer geographischen Lage
angeordneten Akteuren zu sehen ist, gibt die Einfärbung der Akteure in Farbtafel 2
deren „politische Bündniszugehörigkeit", oder besser, deren politische Affinität (in
einem noch näher zu bestimmenden Sinne) an. Die Verflechtungen selbst treten in dieser
Darstellungsform zurück, da sie sich in ihrer strukturbildenden Wirkung ohnehin nicht
überschauen lassen.
Wichtig ist an dieser Stelle, sich über den ontologischen Status dessen, was da auf
dem Papier bunt abgebildet ist, grundsätzlich Klarheit zu verschaffen: Selbstverständlich
stellen die Soziogramme nicht den Wirkungsverbund der Fürsten selbst, also den „realen"
historischen Untersuchungsgegenstand, sondern lediglich Abstraktionen desselben dar.
Nur als Modell kann das „Netzwerk Reich" mathematisch-statistisch untersucht werden,
unsere Analyse zielt allein auf ein welches im Fall einer schlechten Modellie-
rung (bei Vernachlässigung oder Fehlinterpretation zentraler historischer Daten)^ von
jeder historischen Realität völlig losgelöst sein könnte. Somit kann die Netzwerkanalyse
grundsätzlich nur Hypofltcscn für die historische Interpretation liefern, deren Plausibilität
in einem zweiten Erkenntnisschritt weiter zu prüfen ist. An dieser Stelle kehrt der Gang
der Untersuchung wieder zum Historiker zurück (siehe Abbildung 10 auf Seite 64),
welcher sich nun seinem eigentlichen Metier, der Erkenntnisgewinnung durch Quel-
lenarbeit usw., zuwendet. Doch ist ihm mit den Soziogrammen ein neues, mächtiges
Hilfsmittel für seine Arbeit in die Hand gegeben: Die graphische Darstellung liefert nicht
nur einen zweidimensionalen Überblick über ein in Einzelakte aufgelöstes, komplexes
Geschehen, sondern unterbreitet durch die Darstellung von Cliquen Vorschläge, wie
sich diese Konstellation gedanklich ordnen lässt. Die grundsätzliche Gangbarkeit und
der reiche Erkenntnismehrwert dieses Verfahrens soll in der folgenden Arbeit gezeigt
werden.
Ein zentrales Anliegen historischer Netzwerkanalyse liegt, wie bereits festgestellt,
in der Betrachtung dynamischer Prozesse im Netzwerk.^ Es geht also nicht allein um
216 Zur Auswahl derselben siehe oben S. 65ff.
212 Lediglich Konflikte und Brücken sind, da für die Interpretation bedeutsam, rot und schwarz
hervorgehoben. „Neutrale" Bindungen sind gelb, positive Bindungen innerhalb einer Clique
grau.
218 Zum Problem der Vollständigkeit der Daten siehe unten S. 83f.
219 Siehe oben S. 34.
 
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