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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0125

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2. Weitreichende Entscheidungen: Die Krise von 1225/26

Seite zu ziehen. Andreas hingegen ließ bei dieser Gelegenheit seine Nichte Agnes von
Böhmen im Stich, was ihm dadurch versüßt worden sein könnte, dass vielleicht schon
bei dieser Gelegenheit die 1226 zustande gekommene Eheverbindung zwischen dem
ältesten Sohn Leopolds, Friedrich dem Streitbaren, und der Sophia Laskaris von Nikaia,
der Schwägerin Belas IV., vereinbart wurde. ^
Wenn, wie wir annehmen, der Deutschmeister Hermann Otter als Begleiter der
thüringischen Gesandten selbst in Graz an den Verhandlungen teilnahm, dann wäre die
Aufgabe des Burzenlandes letztlich mit seinem Einverständnis erfolgt. Tatsächlich blieb
das enge Verhältnis des Ordens zu Herzog Leopold auch in der Folgezeit ungetrübt.'^
Die Ursache für diese Nachgiebigkeit des Ordens lag eben darin, dass dem Orden
Kompensationen winkten: Den Rittern wurde der Verlust des Burzenlandes, welcher
ohnehin kaum mehr zu verhindern war (es sei denn um den Preis eines Krieges, den
keiner wollte), dadurch erleichtert, dass sich ihnen mit dem masowischen Angebot ein
neues Betätigungsfeld im Norden öffnete. Der Landgraf von Thüringen aber, der 1211
dem Deutschen Orden (wahrscheinlich) den Weg ins Burzenland geöffnet hatte, war nun
auch dabei, als der Orden wieder gehen musste. Zugleich aber spielte er den Vermittler
für das nächste Projekt, welchem eine größere Zukunft beschieden war!
Dieser Rekonstruktionsversuch einer großangelegten diplomatischen Offensive,
in der sich eine Reihe brisanter politischer Fragen in kausaler Wechselwirkung mit-
einander verflochten - die Verheiratung Heinrichs (VII.), die Kreuzzugsproblematik,
der Konflikt zwischen den Fürsten im Südosten des Reiches, die Burzenlandfrage, der
Hilferuf Konrads von Masowien und die innerpolnischen Querelen, bis hin zu verschie-
denen „Nebenschauplätzen" wie der Entscheidung des Paderborner Bistumsstreits und
die Bemühungen des Deutschen Ordens um den weiteren Ausbau ihrer Positionen in
Deutschland, etwa in Porstendorf -, basiert auf dem netzwerkanalytischen Paradigma,
das Reich sei ein komplexes Wirkungsgefüge gewesen, das dem „twncMS imn'cz's, uüwzcMS
zm'77H'czs"-Schema gehorchte und in dem politische Leistungen und Gegenleistungen
nach dem „do Mf des"-Prinzip sehr genau gegeneinander abgewogen wurden. Beide
Grundsätze erscheinen gut begründet. Indem man sie auf die tatsächlich beobachtbaren
politischen Konstellationen und Ereignisse anwendet, entsteht ein in sich stringentes
Bild des Geschehens, das auch bisher unerklärte Phänomene sinnvoll zu deuten vermag.
Die Zusammenführung bisher zumeist isoliert betrachteter Handlungsstränge ergibt
ganz neue Möglichkeiten, nicht nur den Sinn des Ganzen zu erkennen, sondern auch
die Einzelvorgänge, die für sich genommen oft merkwürdig sprunghaft erscheinen,
angemessener zu verstehen.
Zweifel bleiben natürlich möglich. Gelten die postulierten Grundsätze wirklich der-
art unerbittlich, wo doch allein schon die Unwissenheit der Akteure über ihre wirklichen
Interessen und die Rahmenbedingungen ihres Handelns einzukalkulieren sind? Dieses
grundsätzliche Problem jeder historischen Deutung werden wir weiter im Auge behalten
müssen. Zudem kann eine mit zahlreichen Indizienbeweisen und Plausibilitätserwä-
gungen operierende Rekonstruktion nie bis ins Letzte gesichert werden. Brisant wird
dieses Problem dann, wenn zum Beispiel schon Verschiebungen im Detail, etwa in der
Chronologie, den völligen Zusammenbruch des einmal entworfenen Systems kausaler
Bezüge nach sich ziehen. Dies muss nicht zwangsläufig der Fall sein, häufig lassen

142 Vg], LECHNER, Babenberger, S. 213, der diese Heirat im Sinne einer weiteren Verbesserung der
österreich-ungarischen Beziehungen deutet. Es ist ein häufig auftretendes Phänomen, dass
Eheverbindungen zur Bekräftigung eines Friedensschlusses verabredet wurden.
Zum guten Verhältnis des Ordens zum Babenberger vgl. KLUGER, Hermann v. Salza, S. 63f.

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