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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0169

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168

2. Weitreichende Entscheidungen: Die Krise von 1225/26

des blauen Clusters (den Erzbischof von Köln, Böhmen und Bayern) durch Einschaltung
des Kaisers zu überspielen. 2.) Im Dagsburger Erbstreit und in den Verhandlungen
um Teile des Zähringererbes (Bamberger und Straßburger Kirchenlehen, Rheinfelden)
konnte die hellblaue Gruppe, repräsentiert vor allem durch den Bischof von Lüttich,
die Grafen von Leiningen und die Meranier ebenfalls die Unterstützung des Kaisers
gewinnen. Die Ansprüche des (von Köln unterstützten) „blauen" Herzogs von Brabant
auf das Dagsburger Erbe wurden zurückgewiesen. Für die Meranier, die zugleich die
Grafen von Champagne als Partner in Burgund gegen Stephan von Auxonne gewannen,
brachte das Jahr 1225 die vollständige Aussöhnung mit dem Kaiser, mit dem sie ein
strategisches Bündnis schlossen. Durch dieses Bündnis konnte insbesondere Druck auf
den Herzog von Bayern aufgebaut werden, welcher schon in der staufischen Ehefrage das
Nachsehen gehabt hatte. 3.) Der eskalierende Konflikt zwischen dem Bischof von Utrecht
und seinen Verbündeten (grüner Cluster) einer- und dem von Köln unterstützten Grafen
von Geldern andererseits (blau) verschärfte bereits bestehende Spannungen zwischen
dem Kölner Erzbischof und den nordwestdeutschen Dynasten und führte letztlich zur
Ermordung Engelberts. 4.) Der dänische Konflikt, obwohl militärisch schon zugunsten
der norddeutschen Koalition (grün) entschieden, wurde so lange verschleppt, bis die
Dänen nach dem Tode ihres „natürlichen Verbündeten" Engelbert einlenkten. Gerade
hier ist der netzwerkanalytische Befund eindrucksvoll, zeigt er doch, dass das Reich eben
nicht schon automatisch Wahrer der durch Dänemark bedrohten territorialen Integrität
Deutschlands war. Nicht abstrakte Reichsinteressen, sondern konkrete Gruppenrivali-
täten bestimmten das Geschehen. Und 5.) führte die Politik des neuen Erzbischofs von
Köln, Heinrich von Müllenark, zu einer schrittweisen Veränderung der Bündnisstruktur
am Niederrhein und in Westfalen: Die Herren von Lippe glichen sich mit dem Erzbischof
aus und verbanden sich mit den Grafen von Ravensberg und Oldenburg, was ihnen
neue Optionen (etwa gegen die Stedinger) verschaffte. Der Herzog von Limburg als
Mitverschwörer blieb zunächst mit Köln verfeindet, konnte aber seinen Rückhalt im
Reich behaupten. Die Isenberger hingegen wurden isoliert und ausgeschaltet, ihnen
wurde die Alleinschuld am Engelbert-Mord aufgebürdet.
Bemerkenswert ist, dass es in all diesen Affären die Akteure des blauen Clusters
waren, welche Rückschläge hinzunehmen hatten. Dies traf indirekt auch den König, da
die genannten Fürsten an seinem Hof besonders einflussreich waren. Zudem musste
Heinrich (VII.) in der Ehefrage der Entscheidung seines Vaters folgen, was einen ersten
Schatten auf das staufische Vater-Sohn-Verhältnis warf. So kristallisiert sich aus dem
verwirrenden Vexierspiel der politischen Aktionen 1225 ein erstes Fazit heraus: Das Jahr
der Mündigwerdung Heinrichs (VII.) bescherte dem jungen König und der Gruppe der
ihm eng verbundenen (rheinischen) Fürsten einen Fehlstart.
„O Forhnzo / ucFF Fmo / sh?h/ uonaFz'Fs, / sewper crescz's / zuF decresczs; / u/'U FefeshtN-
Fs".327 Die Wechselhaftigkeit des Glücks, namentlich des politischen Erfolges, gehört zu
den Dauerthemen mittelalterlicher Morallehre und Geschichtsschreibung. Der sich stetig
wandelnde Mond, das sich drehende Glücksrad - diese und andere Metaphern beinhalte-
ten zugleich Warnung und Trost, indirekt verwiesen sie auf Gott als den alleinigen Quell
der Beständigkeit und ewigen Glückseligkeit.^ Zugleich bildeten sie einen wesentlichen
32? CB 017r: „Fortuna FnpcrafnA Maruh" in: ALFONS HiLKA / Ono SCHUMANN (Hgg.), Carmina
Burana: Die moralisch-satirischen Dichtungen, 5. revid. Auf!., München 1991, S. 44.
328 Zu erinnern ist etwa an die das Schicksal Tancreds von Lecce illustrierende Glücksrad-
Darstellung im „LAcr ah Fonorca: A uyusü'" des Petrus de Ebulo. Zum stark von der Vorstellung
der Vergänglichkeit alles irdischen Glücks geprägten Geschichtsbild des Otto von Freising
vgl. nur etwa HANS-WERNER GoETZ, Das Geschichtsbild Ottos von Freising - ein Beitrag zur
 
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