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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0368

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5.3. Nach dem Paradigmenwechsel: Das Reich und die Fürsten

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Die fürstenfreundliche Rhetorik des Kaisers, der dem König eine Verletzung der Fürs-
teninteressen vorwirft und Heinrich in den Fängen von (sozial niedriger stehenden)
„schlechten Beratern" sieht, hat zu diesem Bild wesentlich beigetragen, welches zudem
seine Zeitgebundenheit im frühen 20. Jahrhundert, wo ein klassentheoretischer Ansatz
zweifellos anregend war, nicht verleugnen kann.^ Die spätere Forschung hat vieles von
der Städte- und Ministerialenfreundlichkeit weggestrichen, hielt aber an der „Fürsten-
feindlichkeit" fest, die man nun nicht mehr als strategisch motiviert ansah, sondern
einfach nur aus politischer Ungeschicklichkeit erklärte, womit man zu noch älteren Deu-
tungsmustern zurückkehrte.^ ' So stand für die rein äußerlich sehr spannende Geschichte
Heinrichs (VII.) zuletzt nur ein völlig ausgehöhltes Erklärungsmodell zur Verfügung,
dessen Ungenügen bei näherem Hinsehen offensichtlich ist. Und dies hat wahrscheinlich
auch zum Desinteresse der Forschung, sich mit diesem Thema neu auseinanderzusetzen,
beigetragen.
Der Paradigmenwechsel hin zur netzwerkanalytischen Perspektive ändert diese Si-
tuation vollkommen. Wolfgang Reinhard hat in grundlegender Weise gezeigt, dass bei der
Frage danach, wer „Geschichte macht", klassen- und elitentheoretische Weltdeutungen
nur eine „unzureichende Alternative" zu älteren individualistischen oder verschwö-
rungstheoretischen Modellen bilden und durch einen verflechtungstheoretischen Ansatz
überwunden werden müssen.^ Seine Diagnose trifft auf den Fall Heinrichs (VII.) voll-
kommen zu: „Führungsgruppen sind nicht in erster Linie durch gleiche soziale Daten
ihrer Mitglieder konstituiert, sondern durch die soziale Verflechtung, weil dadurch
Interaktion ermöglicht, begünstigt, kanalisiert wird. "33 Das heißt, nicht „die Fürsten"
oder „die Städter" ergriffen für oder gegen König und Kaiser Partei, sondern immer
konkret miteinander verflochtene Gruppen, welche durchaus über Schichtengrenzen
hinausreichen konnten, wobei das fürstliche Element aufgrund größerer Ressourcenkon-
trolle weitgehend handlungsbestimmend blieb. Zur Verdeutlichung der Folgen dieses
Paradigmenwechsels für die konkrete historische Interpretation genügt es, an einige
Ergebnisse dieser Untersuchung zu erinnern.
Die Ermordung Engelberts war nicht Folge einer strategisch motivierten Opposition
von werdenden Territorialfürsten gegen die Übermacht eines sie einengenden Erzbi-
schofs, sondern war das Werk einer politisch eng verflochtenen Fürstengruppe (hier
macht sogar der Verschwörerbegriff Sinn), die mit Engelbert und dessen Verbündeten im
Konflikt lag (Kapitel 2.5). Ebenso wenig brachte der Eklat auf der Nürnberger Gerichts-
versammlung den Unmut der Edelfreien und Ministerialen gegen die durch Engelbert
repräsentierte Fürstenherrschaft zum Ausdruck, sondern war Folge des latenten Partei-
enkampfs zwischen Fürstengruppen, wo Friedrich von Truhendingen auf der einen Seite,
die Mordankläger auf der anderen Seite standen (Kapitel 2.6). Die „Anerkennungskrise"
von Heinrichs Königtum 1229/30, sprich: das auffällige Fehlen fürstlicher Besucher bei
3° Sehr deutlich wird dies bei FRANZEL, Heinrich VII. und KNÖPP, Die Stellung - eine Auffas-
sung, die bezeichnenderweise von der DDR-Forschung auf gegriffen wurde (etwa: ENGEL,
Städtebünde), aber auch jüngst wieder bei RÄDER, Friedrich II., S. 410 begegnet.
33 So besonders prägnant bei GoEZ, Heinrich (VII.) und STÜRNER, Friedrich II.; im Kern (bzgl. des
politischen Ungeschicks im Umgang mit den Fürsten) aber selbst noch bei BoRCHARDT, Der
Aufstand und HiLLEN, Curia regis. Erst bei BROEKMANN, Rigor iustitiae können diese älteren
Denkmuster als überwunden gelten, doch taugt, wie oben gezeigt wurde, das Konzept der
Ehrwahrung, auf dem der Fokus seiner Überlegungen liegt, nicht zur Erklärung dafür, wie
Heinrich mit seinem Vater in einen solchen Zwiespalt geriet und warum er 1235 die fürstliche
Unterstützung verlor.
33 REINHARD, Freunde und Kreaturen, S. 11-18.
33 Ebda., S. 19.
 
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