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Oschema, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Bilder von Europa im Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 43: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34759#0113

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112

Kapitel V

6. »Unser« Europa?

Überraschenderweise begegnen bereits in früher Zeit vereinzelte Hinweise
auf eine Selbstverortung christlicher Autoren in Europa, die eine Art >Nostri-
fizierung<56 des Erdteils implizieren. Ein mögliches Zeugnis hierfür könnte
bereits im 4. Jahrhundert eine lange mit Ambrosius in Verbindung gebrachte
Variante der Schrift über Alexanders des Großen Begegnung mit den Brahma-
nen bieten. Der Text kompiliert antikes Wissen über Indien aus verschiedenen
Quellen, die später populäre lateinische Version geht auf ein griechisches Ori-
ginal zurück.^ Folgt man dem Textbestand, der in Mignes PL mitgeteilt wird,
so wolle der Erzähler, um dem großen Wissensdurst eines »Palladius« nach-
zukommen, die Dinge zusammenstellen, die er gehört habe. Selbst gesehen
habe er sie nicht, da die Brahmanen »von unserem Europa durch die große
Entfernung getrennt« seien A
Der Europa-Bezug kann hier mit dem kompilatorischen Charakter des
Textes erklärt werden, dessen Vorlagen den Erdteil-Namen gleichfalls kannten
und die Übernahme nahe legten. Dies gilt etwa für die von Plinius inspirier-
ten Passagen der Geschichte Alexanders des Großen, der schließlich von der
unerträglichen Hitze dazu gezwungen worden sei, nach Europa zurückzurei-
sen A Der in den PL wiedergegebene Text geht allerdings auf die Edition der
Werke des Ambrosius zurück, die 1585 erschien und deren handschriftliche
Grundlage nicht mehr nachzuvollziehen ist. Er ist sichtlich verdorben und an
manchen Stellen durch moderne Emendatoren ergänzt^" - folgt man dem
bereinigten Textvorschlag, den 1993 Telfryn Pritchard auf der Grundlage von
vier Handschriften des 10. bis 12. Jahrhunderts vorlegte, entfallen die vor ge-
führten Europa-Belege und werden teilweise sogar ad absurdum geführt. Als
einziger Verweis auf den Erdteil bliebe hier - interessanter weise aus der Sicht

56 Ich benutze diesen Begriff abweichend vom heutigen, stark administrativ orientierten Ge-
brauch, im Sinne einer Bezugnahme, die Europa aus der Perspeküve des jeweiligen Sprechers
zu >unserem< erklärt. Aus der Literatur ist mir eine entsprechende Nutzung des Begriffs bis-
lang nicht bekannt, er scheint mir aber auf nachvollziehbare Weise den von mir angespro-
chenen Sachverhalt zu treffen. Insbesondere vermeidet er die problematische Zuschreibung
affeküver Haltungen an Autoren der Vergangenheit, die mit dem Konzept des »wir-Gefühls«
einher geht, das etwa Eggert 1984 in den Mittelpunkt seiner Analyse stellte. Nicht weniger
problematisch ist in diesem Sinne der von Fritzemeyer 1931 genutzte Begriff des »europäischen
Gemeinschaftsgefühls«. In die Gegenwart gewendet erscheint der Begriff des »wir-Gefühls«
bei Wagner 2006.
57 Siehe Pritchard 1993, S. 109f., mit Hinweisen auf weitere Literatur.
58 Auctor incertus [Ambrosius?], De moribus Brachmannorum: PL 17, Sp. 1167: Ego ^Mippe OMm
ipsos, ipsomm H&n'm ioo? (longo enim ferrarMm spah'o n nosfn? Lnropa SM?ü se/Mnch),
en h'M tümAud A aüis HMtüü;', ef n scn'pfonhMS AsMmpsi, enarrare AdAo.
59 Ebd., Sp. 1169: ef OMm soüs aesfMm, iocorMm^MO inoencÜMm sperre proh'nMS inoäoafMm
Ar Aserere, pcAm ef in Lnropnm remenre conctns esf. Plinius, Naturalis historia, hg. Rack-
ham/Jones/Eichholz 1938-1962, Bd. 2, S. 520 (VI ii 23), verweist lediglich auf die Hitze, wel-
che die Einwohner Indiens gegen den Schmerz unempfindlich mache. Auctor incertus [Am-
brosius?], De moribus Brachmannorum, in: PL 17, Sp. 1172, nennt Alexanders Eroberungen
in Europa und Asien, bevor er nach Babylon gezogen sei; vgl. Kap. V, Anm. 61.
60 Pritchard 1993, S. 111.
 
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