2. Ausgangspunkte: Situation und Selbstbilder
des Adels im Spätmittelalter
2.1. Wirtschaftliche und soziale Aspekte: Gewinner
und Verlierer
Betrachtet man die soziale Situation des Adels im späten Mittelalter, muss man
sich vorweg daran erinnern, dass von, dem'Adel als einer einheitlichen sozialen
Gruppe nicht die Rede sein kann. In der Adelsgeschichte der europäischen
Länder sind immer mindestens zwei Niveaus des Adels vorausgesetzt - Hoch-
und Niederadel -, während die Forschung für manche Länder von drei oder
noch mehr Ebenen ausgeht; so werden für das römisch-deutsche Reich zwei
adlige Niveaus unterschieden, für Frankreich hingegen zumeist drei (haute,
moyenne und petite noblesse).1 Diese Unterteilungen beruhen hauptsächlich auf
ökonomischen Kriterien, aber auch die sozialen Grenzen zwischen den ver-
schiedenen Schichten verfestigten sich im späten Mittelalter zunehmend, und
obwohl es die Vorstellung einer Einheit des Adels gab, bestanden faktisch große
soziale Unterschiede zwischen großen Fürsten und einfachen Rittern.2 Obwohl
auch Fürsten und Könige weiterhin an der adligen Kultur partizipierten und sie
auch prägten, wuchsen sie immer mehr in die Rollen von Landesherren hinein,
die „dem Adel", also mindermächtigen Fürsten, Grafen und vor allem der Masse
der einfachen Herren und Ritter, gegenüberstanden.3
Die ältere Forschung zum spätmittelalterlichen Niederadel war, wie be-
kannt, vom Narrativ einer grundlegenden Krise geprägt, die zu einem dauer-
haften Bedeutungsverlust des Adels zugunsten der Fürsten- und monarchischen
Staaten, aber auch zugunsten nichtadliger Akteure, vor allem des Stadtbürger-
tums, geführt habe. Von zentraler Bedeutung für dieses Narrativ war der öko-
nomische Aspekt - zu erinnern ist vor allem an Wilhelm Abels Theorie einer
„Agrarkrise", die einen Rückgang der Einkünfte aus Grundbesitz bewirkt und
damit die wesentliche Lebensgrundlage des Adels empfindlich getroffen habe.4
Zudem, so die ältere Ansicht, sei der Adel sozial unter Druck geraten. In der
Kriegführung, die die traditionelle Legitimationsressource für adligen Status
und adlige Herrschaft darstellte, seien Ritterheere durch - nichtadlige - Fuß-
1 VgL Contamine, European Nobility, S. 90; ders., Essai, S. 8. Für das deutsche Spätmittelalter
Spieß, Ständische Abgrenzung und den Forschungsüberblick bei Hechberger, Adel im frän-
kisch-deutschen Mittelalter, S. 449-454.
2 Contamine, Essai, S. 77-84. Zur Vorstellung eines einheitlichen Adels vgl. ders., European no-
bility, S. 90-95 sowie, mit Akzent auf einer einheitlichen Kultur, Paravicini, Einheitliche Adels-
kultur; ausführlicher ders., Ritterlich-Höfische Kultur, v. a. S. 28-45.
3 Vgl. Morsel, Erfindung. Spieß, Ständische Abgrenzung, v. a. S. 204 f.
4 Vgl. Abel, Agrarkrisen und ders., Strukturen.
des Adels im Spätmittelalter
2.1. Wirtschaftliche und soziale Aspekte: Gewinner
und Verlierer
Betrachtet man die soziale Situation des Adels im späten Mittelalter, muss man
sich vorweg daran erinnern, dass von, dem'Adel als einer einheitlichen sozialen
Gruppe nicht die Rede sein kann. In der Adelsgeschichte der europäischen
Länder sind immer mindestens zwei Niveaus des Adels vorausgesetzt - Hoch-
und Niederadel -, während die Forschung für manche Länder von drei oder
noch mehr Ebenen ausgeht; so werden für das römisch-deutsche Reich zwei
adlige Niveaus unterschieden, für Frankreich hingegen zumeist drei (haute,
moyenne und petite noblesse).1 Diese Unterteilungen beruhen hauptsächlich auf
ökonomischen Kriterien, aber auch die sozialen Grenzen zwischen den ver-
schiedenen Schichten verfestigten sich im späten Mittelalter zunehmend, und
obwohl es die Vorstellung einer Einheit des Adels gab, bestanden faktisch große
soziale Unterschiede zwischen großen Fürsten und einfachen Rittern.2 Obwohl
auch Fürsten und Könige weiterhin an der adligen Kultur partizipierten und sie
auch prägten, wuchsen sie immer mehr in die Rollen von Landesherren hinein,
die „dem Adel", also mindermächtigen Fürsten, Grafen und vor allem der Masse
der einfachen Herren und Ritter, gegenüberstanden.3
Die ältere Forschung zum spätmittelalterlichen Niederadel war, wie be-
kannt, vom Narrativ einer grundlegenden Krise geprägt, die zu einem dauer-
haften Bedeutungsverlust des Adels zugunsten der Fürsten- und monarchischen
Staaten, aber auch zugunsten nichtadliger Akteure, vor allem des Stadtbürger-
tums, geführt habe. Von zentraler Bedeutung für dieses Narrativ war der öko-
nomische Aspekt - zu erinnern ist vor allem an Wilhelm Abels Theorie einer
„Agrarkrise", die einen Rückgang der Einkünfte aus Grundbesitz bewirkt und
damit die wesentliche Lebensgrundlage des Adels empfindlich getroffen habe.4
Zudem, so die ältere Ansicht, sei der Adel sozial unter Druck geraten. In der
Kriegführung, die die traditionelle Legitimationsressource für adligen Status
und adlige Herrschaft darstellte, seien Ritterheere durch - nichtadlige - Fuß-
1 VgL Contamine, European Nobility, S. 90; ders., Essai, S. 8. Für das deutsche Spätmittelalter
Spieß, Ständische Abgrenzung und den Forschungsüberblick bei Hechberger, Adel im frän-
kisch-deutschen Mittelalter, S. 449-454.
2 Contamine, Essai, S. 77-84. Zur Vorstellung eines einheitlichen Adels vgl. ders., European no-
bility, S. 90-95 sowie, mit Akzent auf einer einheitlichen Kultur, Paravicini, Einheitliche Adels-
kultur; ausführlicher ders., Ritterlich-Höfische Kultur, v. a. S. 28-45.
3 Vgl. Morsel, Erfindung. Spieß, Ständische Abgrenzung, v. a. S. 204 f.
4 Vgl. Abel, Agrarkrisen und ders., Strukturen.