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Schreier, Gero; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Albert-Ludwigs-Universität Freiburg [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Ritterhelden: Rittertum, Autonomie und Fürstendienst in niederadligen Lebenszeugnissen des 14. bis 16. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 58: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54852#0274

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6.3. Zur Entstehung der Lalaing-Biographie

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6.3. Zur Entstehung der Lalaing-Biographie
6.3.1. Zur Frage der Verfasserschaft
Der Livre Lalaing ist eine Kompilation. Die Frage nach der Autorschaft stellt sich
also nicht im gebräuchlichen Sinn. Als Verfasser hätte die Person zu gelten, die
die verschiedenen Texte kompilierte, d.h. vorhandenes Material zusammen-
stellte und allenfalls notwendige Adaptionen, Überleitungen und einzelne Pas-
sagen, für die nicht auf Vorlagen zurückgegriffen werden konnte, neu verfasste.46
Zumindest methodisch davon zu trennen ist die Frage nach den möglichen In-
tentionen, die Auswahl und Bearbeitungstendenzen bestimmten; die Vorgaben
eines Auftraggebers werden hier von entscheidendem Einfluss gewesen sein.
Dafür, dass Planer und Ausführer in eine Person zusammenfallen, gibt es in der
Geschichte adliger Schriftlichkeit des späten Mittelalters gerade in Burgund
indes auch Beispiele - man denke nur an Olivier de la Marche oder der ver-
schiedenen als Verfasser hervorgetretenen Angehörigen der Familie Lannoy.
Manches deutet darauf hin, dass gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Teilen
der burgundischen Adelsgesellschaft einiges historiographisches Interesse an
Jacques de Lalaing bestand.47 Olivier de la Marche hielt in seinen 1470 begon-
nenen Memoiren fest, was er von dem ihm persönlich bekannten Jacques de
Lalaing wusste. Zudem nennt er einige andere Autoren, die sich mit dem Ver-
storbenen befassten, darunter Jean le Fevre de Saint-Remy, der Herold des Or-
dens vom goldenen Vlies, und Georges Chastellain, zwei namhafte Funktions-
träger am herzoglichen Hof:
car je sqay bien que le roy d'armes de la Thoison d'or, George Chastelain,
nostre grant historiographe, ne plusieurs aultres qui se meslent et entremet-
tent d'escripre, n'oublieront point, en leurs ramentevances et escriptz, cestuy
messire Jaques de Lalain, dont l'employ de leur recit, en ceste partie, fera
honneur et prouffit ä leurs oeuvres et matteres.48
Le Fevre selbst erwähnt in einem Brief, in dem er Guillaume de Lalaing, dem
Vater des Jacques, einen Bericht über die Tumiertaten seines Sohnes bis 1450
übersandte, die Aufzeichnungen des Herolds Charolais, der den größten Teil der
Taten des Jacques selbst gesehen habe, sowie „andere adlige Personen", die
davon zu berichten wüssten.49
Vor allem die ältere Forschung hat diese Passagen in Zusammenhang mit der
Frage gebracht, wer der Verfasser des Livre Lalaing sei, ohne letztlich Klarheit
hierüber gewinnen zu können. Für Verwirrung hat insbesondere gesorgt, dass

46 Die literarische Leistung des Kompilators des Livre Lalaing ist dabei keineswegs gering zu ver-
anschlagen, vgl. Beaune, Le Livre des faits [...]. Introduction, S. 1197.
47 Bemerkenswert ist daneben die Inanspruchnahme des Jacques in der Traktatliteratur, so im Buch
vom Orden des Goldenen Vlieses des Guillaume Fillastre, vgl. dazu Fillastre, Werke, S. 308 und
Schulte, Exemplifizierung, S. 95.
48 La Marche, Memoires 11.310.
49 Le Fevre, Epitre, S. 181; vgl. auch ebd. S. 190.
 
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