4.2. Jacques de Lalaing
143
und Interessen am meisten entsprachen, mag für den Erfolg des Werkes keine
geringe Rolle gespielt haben.64
4.2. Jacques de Lalaing
Manche Kommentatoren sehen den Livre Lalaing beispielhaft für ein gänzlich
rückwärtsgewandtes Bild des Rittertums, in dem die historische Entwicklung
weg von den Idealen des Ehrerwerbs und der agonalen Auszeichnung hin zu
einem nüchtern-pragmatischen Dienstethos, wie es in der Gestalt des Haupt-
manns oder chevetain zutage trete, noch keinerlei Spuren hinterlassen habe.
Johan Huizinga stellt diesen Text dem Jouvencel aus dem Umkreis des Jean de
Bueil entgegen und konstatiert: „Einen so realistischen Rittertypus [...] ver-
mochte die burgundische Literatur, um vieles altmodischer, feierlicher und
stärker im feudalen Gedanken befangen als die rein französische, noch nicht zu
schaffen." Vielmehr habe diese Kultur den Typus des Jacques de Lalaing her-
vorgebracht, eine „antiquierte Kuriosität".65 In Verlängerung dieser These ord-
nete man den Protagonisten des Livre Lalaing als ritterlichen Virtuosen ein, der
ohne Rücksichten auf taktische Überlegung auf Tapferkeit und Ehre ausgehe,
das Fußvolk verachte und den Krieg im Ganzen als ritterliches Spiel ansehe.66 Er
mutet somit wie der Erbe jener schon von zeitgenössischen Chronisten wie
Froissart oder Pintoin missbilligend beschriebenen Ritter an, die sich bei Crecy,
Nikopolis oder Azincourt durch die blinde Suche nach Auszeichnung und Ruhm
in die militärische Katastrophe treiben ließen.
Die neuere Forschung hat demgegenüber betont, dass diese Urteile zumin-
dest auf den,realen' Jacques de Lalaing nicht zuträfen. Colette Beaune konsta-
tierte: „C'est un chef de guerre professionnel autant qu'un Chevalier".67 Mit Blick
auf Jacques' Ende durch eine Kanonenkugel - spätestens seit Huizinga ver-
meintlicher Beleg für die Unverträglichkeit des Rittertums mit den neuen Ent-
wicklungen des Kriegswesens68 - meinte Bertrand Schnerb:
„Certains auteurs ont cru bon d'ironiser sur la fin de ce Chevalier ac-
compli et ont vu lä le signe du triomphe de l'artillerie sur l'esprit che-
valeresque. Ils n'ont pas remarque que Jacques de Lalaing n'a pas eu la
mort d'un homme ä l'esprit anachronique qui ne comprenait rien ä
l'artillerie, mais bien celle d'un de guerre de son temps, comme le comte
de Salisbury devant Orleans en 1428 ou l'amiral de France Prigent de
Coetivy devant Cherbourg en 1450."69
64 Vgl. Faucon, Introduction, S. 167. Zur Rezeption des Werkes v. a. Vermijn, Chacim; dies., Trois
traditions; Lassabatere, Mythe. Zur sonstigen Popularität Du Guesclin vgl. unten, S. 219 ff.
65 Huizinga, Herbst, S. 97.
66 So Gaucher, Biographie chevaleresque, S. 588 f.; vgl. auch dies., Confrontation.
67 Beaune, Le Livre des fais [...]. Introduction, S. 1203.
68 Vgl. Huizinga, Herbst, S. 142.
69 Schnerb, L'etat bourguignon, S. 389.
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und Interessen am meisten entsprachen, mag für den Erfolg des Werkes keine
geringe Rolle gespielt haben.64
4.2. Jacques de Lalaing
Manche Kommentatoren sehen den Livre Lalaing beispielhaft für ein gänzlich
rückwärtsgewandtes Bild des Rittertums, in dem die historische Entwicklung
weg von den Idealen des Ehrerwerbs und der agonalen Auszeichnung hin zu
einem nüchtern-pragmatischen Dienstethos, wie es in der Gestalt des Haupt-
manns oder chevetain zutage trete, noch keinerlei Spuren hinterlassen habe.
Johan Huizinga stellt diesen Text dem Jouvencel aus dem Umkreis des Jean de
Bueil entgegen und konstatiert: „Einen so realistischen Rittertypus [...] ver-
mochte die burgundische Literatur, um vieles altmodischer, feierlicher und
stärker im feudalen Gedanken befangen als die rein französische, noch nicht zu
schaffen." Vielmehr habe diese Kultur den Typus des Jacques de Lalaing her-
vorgebracht, eine „antiquierte Kuriosität".65 In Verlängerung dieser These ord-
nete man den Protagonisten des Livre Lalaing als ritterlichen Virtuosen ein, der
ohne Rücksichten auf taktische Überlegung auf Tapferkeit und Ehre ausgehe,
das Fußvolk verachte und den Krieg im Ganzen als ritterliches Spiel ansehe.66 Er
mutet somit wie der Erbe jener schon von zeitgenössischen Chronisten wie
Froissart oder Pintoin missbilligend beschriebenen Ritter an, die sich bei Crecy,
Nikopolis oder Azincourt durch die blinde Suche nach Auszeichnung und Ruhm
in die militärische Katastrophe treiben ließen.
Die neuere Forschung hat demgegenüber betont, dass diese Urteile zumin-
dest auf den,realen' Jacques de Lalaing nicht zuträfen. Colette Beaune konsta-
tierte: „C'est un chef de guerre professionnel autant qu'un Chevalier".67 Mit Blick
auf Jacques' Ende durch eine Kanonenkugel - spätestens seit Huizinga ver-
meintlicher Beleg für die Unverträglichkeit des Rittertums mit den neuen Ent-
wicklungen des Kriegswesens68 - meinte Bertrand Schnerb:
„Certains auteurs ont cru bon d'ironiser sur la fin de ce Chevalier ac-
compli et ont vu lä le signe du triomphe de l'artillerie sur l'esprit che-
valeresque. Ils n'ont pas remarque que Jacques de Lalaing n'a pas eu la
mort d'un homme ä l'esprit anachronique qui ne comprenait rien ä
l'artillerie, mais bien celle d'un de guerre de son temps, comme le comte
de Salisbury devant Orleans en 1428 ou l'amiral de France Prigent de
Coetivy devant Cherbourg en 1450."69
64 Vgl. Faucon, Introduction, S. 167. Zur Rezeption des Werkes v. a. Vermijn, Chacim; dies., Trois
traditions; Lassabatere, Mythe. Zur sonstigen Popularität Du Guesclin vgl. unten, S. 219 ff.
65 Huizinga, Herbst, S. 97.
66 So Gaucher, Biographie chevaleresque, S. 588 f.; vgl. auch dies., Confrontation.
67 Beaune, Le Livre des fais [...]. Introduction, S. 1203.
68 Vgl. Huizinga, Herbst, S. 142.
69 Schnerb, L'etat bourguignon, S. 389.