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EIN ANTIKER KOPF
UND EIN ANGEBLICHES WERK DER
RENAISSANCE
von
PAUL HERRMANN

Das Kinderköpfchen, das wir in der Abbildung 1 wiedergeben, steht in
der Abgußsammlung des Albertinums zu Dresden. Es gehört zu
den Abgüssen, die Raphael Mengs ausführen ließ und zu einer stattlichen
Sammlung vereinigte, welche kurz nach dem Tode des Künstlers im Jahre
1782 von Kurfürst Friedrich August für Dresden erworben wurde. Uber
die Originale, die Mengs abformen ließ, sind eigene Aufzeichnungen des
Künstlers nicht erhalten, und die alten Inventare, die bei Ankunft der Samm-
lung in Dresden aufgenommen wurden, enthalten darüber nur lückenhafte
Angaben. In den meisten Fällen lassen sich die Abgüsse als Nachformungen
allbekannter Meisterwerke der antiken Plastik leicht feststellen, doch bleibt
ein Rest, bei denen die Erinnerung versagt und die, wenn nicht Abbildungen
in älteren Publikationswerken zu Hilfe kommen, nur bei Durchforschung
fremder Museen auf ihren Ursprung zurückgeführt werden können.
Zu diesen unbeglaubigten Stücken der Mengs'schen Sammlung gehört
auch unser Kinderkopf. Was er selbst durch Erscheinung und künstlerische
Behandlung für das Auge des Archäologen aussagt, ist, daß er in das Bereich
der antiken Plastik gehört. Gesichtstypus und Formenbau, die Zeichnung
der Augen und des Haares charakterisieren ihn als ein Werk der römischen
Kunst aus der Kaiserzeit: es ist ein Kinderbildnis der Antoninischen Epoche.
Aber wo steht das Original des Abgusses? Bei der Suche nach diesem und
seiner endlichen Auffindung gelang es, einem anderen Kunstwerk seine
Stelle anzuweisen, das bisher unter einer falschen kunstgeschichtlichen Be-
zeichnung geführt wurde und nunmehr umgewertet werden muß. Der kunst-
wissenschaftliche Irrtum ist interessant genug, um aufgewiesen und berichtigt
zu werden.
Der Zufall brachte mir eine Photographie Alinaris zu Händen, die in
Abbildung 2 wiedergegeben ist. Sie zeigt einen Kinderkopf in Bronzeguß,
der im Museo Nazionale <Bargello> zu Florenz steht und Zug für Zug dem
Dresdner Gips gleicht. Die Übereinstimmung ist so schlagend und kommt
durch Vergleich der beiden Photographien so unmittelbar zum Bewußtsein,
daß ihr mit Worten nicht weiter nachgegangen zu werden braucht. Eine
leichte Verschiedenheit zeigt sich allein in der Behandlung des Haares. Die
kurzen, dichten Locken sind bei dem Gips klarer umschrieben und stärker
unterschnitten und erhalten dadurch ein schärferes Relief, bei dem Bronze-

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