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WER WAR DER ERSTE PLASTIKER
DER MEISSNER MANUFAKTUR?
von
ERNST ZIMMERMANN
Als Böttger im Jahre 1708 sein rotes Steinzeug und bald darauf sein
Jr~X Porzellan erfunden hatte, stand es bald fest, beide Stoffe auch in den
Dienst der Plastik zu stellen. Kleinplastik war damals im Zeitalter des
Barocks, das in seiner Sucht nach dem Ungewöhnlichen in gleicher Weise
das Kleine wie das Große liebte — das beweist schon das Dresdner »Grüne
Gewölbe« — ein ganz besonders beliebtes Gebiet des plastischen Schaffens,
wie es auf dem Gebiet der Schwesterkunst die Miniaturmalerei war. In allen
möglichen Materialen, in allen möglichen Zusammenstellungen derselben
suchte man sie durchzuführen. Daneben gab auch das chinesische Porzellan,
das Böttger zu seinen Erfindungen veranlaßt hatte, schon reichliche Vorbilder
her. Kein Wunder daher, daß es schon gleich nach der Erfindung des roten
Steinzeugs in ihm eine mannigfaltige Plastik gab, der sich bald eine noch
reichere in Porzellan anschloß, die dann bis in unsere Zeit nicht wieder ver^
schwunden ist.
Ich habe in meinem Werke über die Erfindung des Meißner Porzellans l>
bereits eingehend über diese ersten Anfänge der europäischen Porzellan^
plastik berichtet und ihren eigenartigen Charakter zu schildern gesucht. Es
ergab sich, daß diese in künstlerischer Hinsicht ganz ungemein ungleich aus^
gefallen sind, daß ein Teil der frühesten Arbeiten durchaus künstlerisch be-
friedigende Leistungen darstellten, andere dagegen wie die Machwerke recht
kümmerlicher Dilettanten erschienen, die zu ersteren in einem ganz merk-
würdigen, kaum verständlichen Gegensatz standen. Es ergab sich weiter,
daß von ersteren ein ganzer Teil rein mechanische Abformungen schon vor-
handener plastischer Arbeiten in anderen Stoffen waren; von europäischen
Bronzen, Münzen, chinesischen Porzellanfiguren, ja sogar allem Anschein
nach auch von Arbeiten in Zinn2>, während von den minder guten nur für
eine ganz bestimmte Gruppe, nämlich für die der sogenannten » Callotfiguren «
sich Vorbilder, wenn auch nur zeichnerischer Natur, feststellen ließen. Hier

’> E. Zimmermann Die Erfindung und Frühzeit des Meißner Porzellans. Berlin
1908. S. 145u.235ff.
2> Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß die in meinem Werke über
die Erfindung des Meißner Porzellans in Abbildung 53 links und rechts wiedergegebenen
stehenden Chinesenfiguren doch wohl nicht Erzeugnisse aus Böttgersteinzeug sind, sondern
zu jenen bekannten, schwach gebrannten roten Tonwaren gehören, die schon vor Böttger in
Holland hergestellt worden sind. Ihre Masse ist viel zu schlecht und auch zu schwach ge-
brannt, um für Böttgersteinzeug angesehen zu werden.

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