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DIE WEINBERGSSZENEN
VON MORITZ RETZSCH
von
HANS WO LT GANG SINGER
Moritz Retzsch galt eine der ersten meiner wenigen Philippiken. Im
Künstlerlexikon schrieb ich Mitte der neunziger Jahre: »Bis zu
welchem Grade die Kunst in Deutschland einstens gesunken war, ersehen
wir aus dem Umstand, daß dieser hohle, bombastische Pfuscher, so un-
glaublich es uns auch jetzt erscheinen mag, ehedem nicht nur unter die
Künstler, sondern unter die bedeutenden gerechnet wurde. Es gibt nichts
Affektierteres, Alberneres als die fad geistreichelnden Illustrationen zu den
deutschen Klassikern, zu Shakspere usw., des Retzsch, der nicht einmal
genügend Können besaß, um seine Platten selbst zu ätzen.«
Wenngleich die zwanzig und einige Jahre des Verfassers diesem da-
maligen Urteil in hohem Grade sein Wortgepräge aufgedrückt hatten, so
glaube ich doch, daß der Standpunkt wohl der jener Zeit, nicht nur sein
eigener war. Es waren die Blütetage des Naturalismus, die Zeit, in der
die Malerei für die Ausübenden wieder zur Wissenschaft, für die Allge-
meinheit zu einer Sache der größten Wichtigkeit geworden war. Die Stelle
vom »genügenden Können« verrät den springenden Punkt, von dem dieser
verdammende Richtspruch überhaupt seinen Ausgang nahm.
Zudem hatte ich, als ich jene Zeilen schrieb, eben die unerfreuliche
Aufgabe gehabt, den ganzen Nachlaß Retzschs durchzuackern. Darüber
hätte einem Hiob seine Geduld flöten gehen können,- und ich war wohl
nicht einmal so geduldig wie Hiob.
Aber es kommt ja nur auf den Standpunkt an. Hören wir, was Frau
Jameson im Jahre 1833, nachdem sie Retzsch in Dresden besucht hatte,
schreibt:
»Bei einem späteren Besuch zeigte mir Retzsch viele seiner ent-
zückenden Einfälle oder Phantasien, wie er sie nannte, genauer bezeichn
net kleine Proben lyrischer und moralischer Dichtung, in eine faßbare Ge-
stalt gegossen und die allgemein verständliche Sprache des Gesichts zum
allgemein verstehenden Menschenherz sprechend. Ich entsinne mich be-
sonders einer solchen von hervorgehobenem, ja geradezu packendem
Interesse. Der Genius der Menschheit und der Geist alles Bösen spielen
Schach um Menschenseelen. Der Genius der Menschheit hat bereits einige
seiner Hauptfiguren an seinen teuflischen Gegner verloren, — so die
Liebe, die Demut, die Unschuld und zu guterletzt auch noch die Ruhe
des Gemüts,- aber ihm bleiben immer noch der Glaube, die Wahrheit
und die Tapferkeit. Nachdenklich sitzt er da und grübelt über seinen

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