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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 26.1927

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Nr. VI
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Völter, Ernst: Vom Bauen in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.48543#0260

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202

streben muß heute im Vordergrund stehen und tritt allent-
halben im Stadtbild in Erscheinung. Große „Volkswohn-
häuser“, oft ganze Straßenviertel einnehmend, erheben
sich überall. Bedauerlich ist, daß diese Fürsorgebauten,
rasch und lieblos „hingehauen“, was die architektonische
Formgebung anbelangt oft recht viel zu wünschen übrig
lassen und auch nicht selten in der Ausführung Grund zu
Beanstandungen geben. Der Siedlungsbau tritt z.Zt. neben
diesen Wohnungsblocks beinahe etwas zurück. Einen
großen Raum nehmen Erweiterungs- und Umbauten von
Geschäftshäusern ein, vor allem auch die Umgestaltung
alter Fassaden. Solche Reinigungsaktionen sind sehr zu
begrüßen, wenn es auch noch lange dauern wird, bis die
Straßenzüge durch Beseitigung des aufgeklebten prunk-
vollen Dekorationswustes von den Häuserfronten ein ein-
heitlich modernes Gepräge erhalten. Es soll sogar vor-
gekommen sein, daß man höheren Orts den Bau eines Ge-
schäftshauses im Berliner Westen in neuzeitlichen Formen
mit der Begründung verhindern wollte, es werde dadurch
das „historische“ Straßenbild zerstört. —
Es war bisher nur von Zweckbauten die Rede, d. h.
solchen, die zur Befriedigung eines unmittelbaren Bedürf-
nisses an Wohn- oder Geschäftsräumen bestimmt sind. So
verschieden sie in ihrer Durchformung sein mögen; sie
tragen doch uniformen Charakter, insofern die harte Not-
wendigkeit ihnen gemeinsam Ursache und Zweck ist.
Freieren Spielraum gewährt der Landhausbau, den dieses
Heft in erster Linie illustriert. Auch er hat, ein sicheres
Zeichen zunehmender Wohlhabenheit, in jüngster Zeit
einen merklichen Aufschwung genommen. War das Ge-
biet des Landhausbaus von jeher der Tummelplatz indi-
vidueller Gestaltungsfreudigkeit auf Seiten des Architekten
wie des Bauherrn, so haben die neuartigen wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart eine
deutlich erkennbare Grup-
pierung in verschiedene
Grundtypen zurFolge. Da
ist der Herrensitz alten
Stils, wie ihn die beiden
Häuser von Keller und
Prömmel zeigen. Sie
haben etwas Patriarcha-
lisches, sind mit der Land-
schaft und ihren alten Bau-
sitten verwachsen. (Back-
steinbau, Findlingsmauer.)
Geht man durch die Innen-
räume, so ist im Empfangs-
zimmer ebenso wie in der
Mädchenkammer oder im
Weinkeller alles bis aufs
kleinste wohl durchdacht
und mit liebevollem Ver-
ständnis durchgearbeitet.
Auf der anderen Seite ist
den Ansprüchen moderner

Wohnkultur und Hygiene im allgemeinen in jeder Weise
Rechnung getragen. Hier, wie beim Haus Ballin von Prof.
Fahrenkamp, spürt man, daß das Bauprogramm durch
keinerlei Beschränkungen beeinträchtigt wurde.
Zu eigenartigen, reizvollen Lösungen, vor allem im
Grundriß, führt der gut gelungene Umbau eines Tanzsaals
zu einem Einfamilienhaus. Die auch bei Neubauten beliebte
Anordnung der Zimmer um eine große, zentral gelegene
Wohndiele ist hier die beste Ausnützung des Gegebenen.
Architekt ist F r i e d r i c h Benoit.
Einer anderen Gruppe gehören die Landhäuser von
Reg.-Baumstr. H. J e s s e n an. Hier handelt es sich darum,
der Familie unter Verzicht auf alle kostspielige Auf-
machung und durch sinnvolle Raumausnützung ein vor-
nehmes und bequemes Heim zu verschaffen. Der Sinn
dieser Häuser liegt sozusagen ganz im Innern Nach außen
sind sie darum zurückhaltend, ruhig und vermitteln so den
Gesamteindruck des Gediegenen.
Die dritte Gruppe ist durch die Reihen-Einfamilien-
häuser der Architekten Brüder Luckhardt & Alfons
Anker vertreten. Hier ist die Idee des Einfamilienhauses
verbunden mit dem Kollektivgedanken der Siedlung.
Durch die Staffelung des Baukörpers wird die Trennung
der Einzelhäuser betont und zugleich erreicht, daß jede
Wohnung gleichmäßig viel Sonne erhält. Bei der Grund-
rißlegung mußte natürlich auf größte Raumausnützung ge-
sehen werden. Hierdurch ist es gelungen, auf knapper
Grundfläche eine Wohnung zu schaffen mit bequemen
großen Räumen, die das Gefühl der Beschränkung in keiner
Weise aufkommen lassen.
Einen Blick ins Innere eines solchen Hauses gewähren
die Bilder aus dem Haus Dr. S., dessen gesamte Innen-
ausstattung Dipl.-Ing O. Firle in Zusammenarbeit mit
Architekt Julius Cunow besorgte. Der Bibliothek-
raum, dem Garten zu ge-
legen, nimmt die ganze
Breite des Hauses ein. Ne-
ben ihm liegt das Wohn-
zimmer, im oberen Stock-
werk die Schlafzimmer, im
Untergeschoß die Wirt-
schaftsräume. —
Unsere Bilder zeigen
einen gegenständlich eng-
umschriebenen Ausschnitt
aus dem Gesamtbild der
Bautätigkeit Berlins. Viel-
leicht aber vermag diese
Veröffentlichung schon
einen Eindruck davon zu
vermitteln, wie verschie-
denartig die Aufgaben,
wie verschiedenartig auch
die Wege sind, die zu
ihrer Lösung eingeschla-
gen werden.


Wilhelm Keller, Rudolf Prömmel, Berlin
Haus an der Heerstraße. — Erdgeschoßgrundriß
 
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