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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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kühnen und ziemlich einleuchtenden Schluß, daß
Maso Finiguerra (mit seinen Schülern) sehr wohl
der Urheber der „Bilderchronik" und der damit
unzertrennlich verknüpften frühen Stiche in „feiner"
Manier, sein könnte. Sie ziehen dazu noch die
Zeichnungsreihe in den Uffizien herbei, die der
alten Überlieferung gemäß von Finiguerra her-
rührt, und sich oft als eng verwandt mit der
Chronik sowie mit den Stichen erweist. Somit
hätten sie (was Colvin allein schon früher vor-
schlug), der alten auf Vasari zurückgehenden Über-
lieferung die Finiguerra als Vater des Stichs über-
haupt hinstellt, eine neue höchst bedeutungsvolle
Wendung gegeben. Das erscheint mir als sehr
wichtig und glücklich: denn es ist immer eine
unbefriedigende Sache, wenn man mit ernsthaften
alten Überlieferungen nicht anders fertig werden
kann, als daß man sie schlankweg verwirft.
Für das Atelier in dem die Stiche der „derberen"
Manier entstanden, schlagen die Verfasser in einer
nicht weniger geistvollen Hypothese, Francesco
Rosselli, vor.
Alle diese Erörterungen findet man in der Ein-
leitung, aber nicht minder interessante bringt das
Verzeichnis selbst, bei Gelegenheit der verschiedenen
Versionen der Planeten, der Triumphe des Petrarca,
der Propheten und Sibyllen und besonders auch
der sogenannten „Tarrocchi". Vorsichtig und vor-
trefflich ist besonders die Darstellung des Ver-
hältnisses der beiden Tarrocchi Zyklen zueinander
geschildert, wo sie wieder in der feiner ge-
stochenen (nicht besser gezeichneten!) Folge die
ursprüngliche erkennen, und damit Bartschs Ver-
sehen, das mittlerweile aufgewärmt worden ist,
richtig stellen. Die Originalfolge lokalisieren sie
nicht auf Venedig, sondern auf Ferrara, und die
Kopienfolge auf die Nachfolgschaft der Finiguerra-
schule. Es führte zu weit, wollte ich hier auf
alle diese Fälle eingehen, bei denen überall Fragen
der Priorität, ob Kopien, ob Vorlagen, der Schul-
zuschreibung usw. auftreten. Möge es genügen
im allgemeinen zu sagen daß mir die Begründung
der Verf. stets gewichtig und überzeugend er-
scheint.
Hervorgehoben muß aber noch werden mit welch
unendlicher Hingabe und Gewissenhaftigkeit der
Katalog gearbeitet erscheint. Neben den rein fach-
wissenschaftlichen werden auch alle historischen
und stofflichen Fragen erschöpfend behandelt. Die
Bibliographien ermöglichen es dem der es will
bei jedem Schritt die Arbeiten der Verfasser zu
kontrollieren. Ähnlich wie bei Lehrs' monumen-
talem Werk über die Inkunabeln des nordischen
Stichs, werden alle bekannten Exemplare der Platten,

mit Standortsangabe besprochen, nicht nur die im
British Museum befindlichen. Auf 19 Seiten stehen
Faksimiles der Wasserzeichen. Alle notwendigen
Indices und Register, z. B. auch eins mit den
Verweisen von Bartsch, Passavant und Koloff auf
den vorliegenden Band, sind vorhanden. Unter
dem bescheidenen Titel eines Katalogs ist uns
ein Werk geboten worden, das nichts weniger als
eine der Hauptleistungen der ganzen Wissenschaft
in diesem Fache ist. Hans W. Singer.
CARL JUSTL Michelangelo. Neue
Beiträge zur Erklärung seiner Werke.
Mit 41 Tafeln. Berlin 1909. G. Grote-
sche Verlagsbuchhandlung.
HEINRICH BROCKHAUS. Michel-
angelo und die Medici-Kapelle. Mit
35 Abbildungen, darunter 8 Separatbilder.
Leipzig F. A. Brockhaus 1909.
In Carl Justi verehren wir den Nestor deut-
scher Kunstwissenschaft; einen Mann von künst-
lerischem Empfinden und lebendiger Gestaltungs-
kraft, der den größten Meistern wie kaum ein
anderer Gelehrter nahe zu treten und nicht allein
die einzelnen Werke in ihrem Werden und nach
ihren Schicksalen psychologisch zu begründen,
sondern auch den Gesetzen künstlerischen Schaf-
fens überhaupt, nach Maßgabe der jeweiligen in-
dividuellen wie allgemeinen Voraussetzungen, nach-
zuspüren versteht. Ein Kenner der Weltliteratur,
wie es derzeit kaum einen zweiten auf kunst-
wissenschaftlichem Gebiete geben dürfte, verbindet
er mit seinem reichen Wissen ein umfassendes
Gedächtnis, darin Winckelmann, dem Vertreter
bibliothekarischerGelehrsamkeit, gleichend, dessen
Wesen und Wollen er ja in mustergültiger Weise
erkannt und dargelegt hat. In diesem Gedächt-
nisse ruht sicher und wohlverwahrt jener Schatz
von Kenntnissen und Erfahrungen, von Beispielen,
Vergleichen und Analogien, von Zitaten und Aus-
sprüchen, die ihm jederzeit und bei jeder Gelegen-
heit die Möglichkeit gewähren, zu wählen, zu kom-
binieren und mit freigebiger Hand, bisweilen nicht
frei von Koketterie oder Manier, seine Ausführungen
zu beleben und zu veranschaulichen. Und auch
darin gleicht er Winckelmann oder dem Baron von
Rumohr, daß er sich für seine Gedanken eine
eigentümliche Sprache geschaffen, von scharfem
Schliffe, klar und abgerundet, vornehm und wohl-
lautend, die den Leser, selbst wenn sich Skepsis
und Widerspruch gegen den materiellen Gehalt
seiner Erörterungen einstellen, fesselt und anregt.

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