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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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eigenhändig zu überarbeiten pflegte und sie so ganz als selbständige Wiederholungen
seiner Arbeiten betrachtete, daß er sie häufig auch mit der Signatur seines Namens
versah1). So erhielten auch die überdies stets in beschränkter Anzahl ausgeführten
Kopien das Ansehen und den Wert von Originalen. Mehr als ein Dutzend solcher
terrakottafarben getönter Gipsabgüsse sind damals zum Schmuck des Schweriner
Schlosses erworben worden. Sie bilden noch heute einen auffallend wenig bekannten
Schatz des Schweriner Museums.

„On m'a arrache de Paris, et on m'a arrache le coeur", schrieb der Abbe Galiani
am 3. Februar 1770 verzweifelt an Mme d'Epinay, 9 Monate nachdem er aus Neapel
den Befehl sofortiger Rückkehr in die Heimat erhalten hatte2). Es gab damals
eben in Europa keine Stadt, in der man leben konnte wie in Paris, und es hat
wohl überhaupt nur selten in der Geschichte der Völker eine so allgemeine Kultur,
einen solchen Reichtum geistiger Interessen in der „Gesellschaft" gegeben, wie da-
mals in den Salons der französischen Hauptstadt. Nicht nur die Sittenlosigkeit und
die Frivolität, die Blasiertheit der Vornehmen und der Egoismus der Besitzenden
verdienen betont zu werden. Der Aufwand geistiger Kräfte in den bescheidensten
Salons, die Produktivität der Gelehrten, Künstler und Literaten, die Anmut, Klugheit
und der fast unbeschränkte Einfluß der Frauen auf alle Gebiete des Lebens — alles
das erscheint als ein viel selteneres Phänomen. Niemals wieder haben sich geistige
Kräfte und gesellige Talente so harmonisch verbunden, niemals vielleicht ist die
Aristokratie geistreicher und der Geist aristokratischer gewesen als unter den Re-
gierungen der beiden letzten Könige Frankreichs vor der Revolution. „Man vermag
sich nicht vorzustellen", schreibt Madame Vigee-Le Brun, „was die Gesellschaft in
Frankreich damals war, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Waren die Geschäfte
des Tages beendet, dann versammelten sich zwölf oder fünfzehn angenehme Leute im
Salon einer Dame, um hier den Abend zu beschließen. Die Leichtigkeit des Ver-
kehrs, die natürliche Heiterkeit, eine besondere Art von Vertraulichkeit und Intimität
gaben diesen einfachen Mahlzeiten einen Zauber, den große Diners niemals haben
können. In solchen Soupers, aus denen die Teilnehmer als Leute von Geschmack
und Takt jegliche Gene zu verbannen wußten, zeigte sich die Gesellschaft von
Paris der ganzen übrigen Gesellschaft Europas weit überlegen"3).
Sicherlich hat ein so einfach bürgerlicher Mann wie Jean Antoine Houdon — der
dings entfernt wurde. Die ursprüngliche Tönung fand sich überall mehr oder weniger gut erhalten
noch vor.
(1) Vgl. Herrmann Dierks, Houdons Leben und Werke. Gotha 1887, p. 25 In dieser sorgfältig ge-
arbeiteten wenn auch noch äußerst lückenhaften Studie werden die Schweriner Arbeiten Houdons nicht
erwähnt. Sie müssen dem Verfasser völlig unbekannt geblieben sein.
(2) Vgl. Wilhelm Weigand, Der Abbe Galiani p. 14. Ähnlich drückte sich Prinz Heinrich, der Bruder
Friedrichs des Großen, beim Abschied dem Duc de Nivernais gegenüber aus, nachdem er im Jahre 1784
zum erstenmal Paris erlebt und genossen hatte: „J'ai passe la moitie de ma vie ä desirer voir la
France; je vais passer l'autre moitie ä la regretter." Vgl. Paul Seidel, Die Kunstsammlungen des
Prinzen Heinrich, Bruders Friedrich des Großen im Jahrb. d. kgl. preuß. Kunstsmlg. XIII (1892) p. 59.
In dieser gehaltvollen Studie (p. 63) hat Seidel auch auf die Bedeutung der bis dahin völlig
unbekannten Schweriner Houdon-Sammlung hingewiesen. Die beiden Büsten im Besitz des Kaisers,
die Seidel publiziert hat, sind inzwischen von Vitry als Duc de Nivernais und Madame de Sabran.
identifiziert worden.
(3) A. a. O. p. 60.

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