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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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ganze Bild festzuhalten gewußt. Sie haben das Distanzverfahren wenigstens an-
nähernd richtig angewendet und verstanden mit dem Helldunkel umzugehen. Witz
ging in all diesen Disziplinen von ihnen unabhängig, rein gefühlsmäßig vor, und
obgleich alle jene Fehler da sind, die bei einer solchen mehr vom Zufall abhängigen
Übung auftreten mußten, ist doch die Raumwirkung, die er erreicht, bei weitem
stärker und auch großartiger.
Das Suchen nach Einflüssen ist gerade in der Geschichte der deutschen Kunst
sehr beliebt, und, wenn selbst die klarsten Resultate solcher Bemühungen nur von
sekundärer Bedeutung für die einzelne Erscheinung sein können, so verändern sie,
auf einen so bedeutenden Künstler wie Witz angewendet, doch das Bild, das wir
uns von der Produktion des ganzen Kunstkreises machen. Will man Witz immer
noch als einen „von der niederländischen Kunst aufs stärkste beeinflußten Künstler"
hinstellen, und dies nicht etwa auf Grund von stilistischen Momenten, sondern
diesen gerade entgegengesetzt, nur gestützt auf Hypothesen seine Herkunft und sein
Leben betreffend, so mag man damit vielleicht irgendeiner Methode gerecht werden,
den Beweis hierfür müßte man erst bringen. Witz blieb die niederländische Kunst
sicher nicht unbekannt. Äußerlichkeiten aber hat er von ihr nicht übernommen und
tiefer liegende Anregungen in völlig anderer Richtung seiner eigenwilligen Persön-
lichkeit entsprechend umgebildet und weiterentwickelt.
Ziehen wir zum Vergleiche bei, was an Verkündigungen der großen niederländi-
schen Meister, mit denen Witz in Verbindung gebracht wird, vorhanden war, so
kommen in Betracht: Van Eycks Verkündigung des Genter Altars, die Seitenflügel
des Münchner Dreikönigsaltars von Rogier v. d. Weyden und das Mittelstück des
Meroder Altars vom Meister von Flemalle. In allen diesen der Niederländischen
Schule angehörenden Darstellungen sehen wir ein mehr oder minder vornehm aus-
gestattetes Gemach immer als wohnlich gekennzeichnet durch allerhand Hausrat,
wie das Bett mit den aufgezogenen Vorhängen, Tisch und Bank mit Kissen und
verschiedenen Gebrauchsgegenständen, zumindest aber ein Betpult, darauf oder
darin einige Bücher, Schreibzeug, Kerze usw. Die Lilie fehlt fast nie und ebenso-
wenig der heilige Geist im Bilde einer Taube. Durch das Fenster sieht man in
zwei Fällen das Treiben der Straße. Witz gibt von all dem nichts; weder Pult,
Bett, Schemel, Bank oder Kissen, auch kein Waschbecken mit den überhängenden
Tüchern. Nicht einmal die Taube zieht Witz in die Darstellung ein. Eine leere
Stube mit kahlem Boden und kahlen Mauern und mitten darin sitzt betend die
Jungfrau. Witz bringt in seine Darstellungen aber auch gar nichts von jenem Bei-
werk, das später und allenthalben als tägliches Rüstzeug von den Meistern über-
nommen wird, die offenbar von der niederländischen Kunst in Abhängigkeit standen.
Nicht nur alle Äußerlichkeiten der niederländischen Kunst hat Witz aufzunehmen
verschmäht, es ist auch ein ganz anderer Rhythmus der Zeichnung, eine andere
Vorstellung vom menschlichen Gesicht und Körper und eine völlig andere Raum-
behandlung. Ich habe schon früher erwähnt, daß wir den Raumeindruck als erste
und stärkste Wirkung vor dem Bilde empfangen, obgleich Witz die Perspektive
nur gefühlsmäßig zu handhaben versteht. Wenn wir den Fluchtpunkt zu kon-
struieren versuchen, so wird er ungefähr mit der rechten Ecke des Fensters zu-
sammenfallen. In welchem Grade das optische Sehen (in unserem Sinne) bei Witz
instinktmäßig vorhanden war, zeigen uns die geringen Abweichungen von der ge-
setzmäßigen Perspektive. Das weist uns aber darauf hin, wie stark überhaupt sein
Gefühl für Raum und Körperhaftigkeit war. Man kann sagen, daß diese Richtung
seiner Begabung für ihn stilbildend wurde. Er erkannte, daß zum Vermitteln dieser

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